Die Herrin von Sainte Claire
ihren Reizen vergnügte, würde sie eines Tages abgeschoben werden, wenn ihm eine andere in den Sinn käme. Die gerechte Strafe für ihre Ränke, dachte Alaine. Und wenn Rorik ihrer List und Tücke auf den Leim ging und dieses widerborstige Frauenzimmer in sein Bett nahm, dann bekam er genau das, was er verdiente – ein weinerliches, nörgelndes, zänkisches Weib, die ihn gewiß für das bißchen Vergnügen, den ihr Körper bot, teuer bezahlen ließ. Warum also nagte die Vorstellung an ihr, wie Gunnor bei Roriks Liebkosungen aufstöhnte und er seinen muskulösen Leib auf ihrem weichen, üppigen Fleisch bettete?
»Sie kann tun und lassen, was sie will!« murmelte Alaine.
Und zehn Minuten später brabbelte sie immer noch vor sich hin, als Hilda sie beim Blankputzen der Stühle auf dem Podium antraf.
»Himmel, Kind! Bald habt Ihr die Stuhllehnen ganz weggewischt, wenn Ihr nicht aufhört!«
»Was?« Alaine schreckte in die Höhe, herausgerissen aus ihren düsteren Fantasien, welches Schicksal für Rorik und Gunnor das angemessenste wäre.
»Gebt mir das Tuch und holt Kräuter, um das Heu aufzufrischen«, sagte Hilda nicht unfreundlich. »Der Boden riecht säuerlich und Euer Gesichtsausdruck ist es ebenfalls.«
»Ja, Hilda.«
»Dann seht nach dem Feuer in der Kemenate. Gunnor sagte mir, es brennt nur noch schwach.«
»Das sieht ihr ähnlich«, seufzte Alaine.
»Gebt Sewell Bescheid, er soll noch Holz bringen, falls Ihr welches braucht.«
Alaine erwischte Sewell in der Küche und gab ihm den Auftrag. Auf dem Weg die Treppe hinunter zum Holzstapel zwinkerte er ihr verstohlen zu. Sie zwinkerte zurück, ihre Stimmung hellte sich etwas auf. Sewell war mit ihr in den Wäldern gewesen. Gleich ein oder zwei Tage später, nachdem ihr Bote den Rundgang um die Dörfer gemacht hatte, war er auf die Burg zurückgekehrt. Schnell hatte sich die Nachricht verbreitet, alle aus Alaines Truppe, die Rorik entkommen waren, sollten sich auf der Burg melden, um ihre Begnadigung zu erhalten und dem neuen Herrn den Treueschwur zu leisten. Langsam hatten sich die restlichen Männer von Alaines tapferer, kleiner Truppe eingefunden. Rorik hatte sein Wort gehalten; er nahm die Krieger in seine Dienste auf, sandte die Dorfbewohner nach Hause und ließ die Bautrupps mit ihrer Arbeit wieder anfangen. Fast alle Gefolgsleute Alaines gehörten nun durch den Treueeid zu Rorik. Nur Garin und eine Handvoll Männer blieben in den Wäldern und überfielen gelegentlich Roriks Spähtrupps und stachelten die Dorfbewohner zur Rebellion auf.
Sewell legte einen Armvoll Brennholz neben den Kamin der Kemenate. Alaine legte ein paar besonders gut getrocknete Holzscheite auf und blies aus Leibeskräften ins glimmende Feuer, um die Glut weiter anzuheizen. Joanna saß in der Ecke mit ihrem Nähzeug und noch ein paar andere Burgfrauen waren mit ihrer Arbeit beschäftigt, eine am Spinnrad, zwei andere am Webstuhl. Alle waren sie bemüht, nicht in Richtung Alaine zu blicken, während sie ihre niedere Arbeit verrichtete.
Alaine warf einen verstohlenen Blick zu Joanna und ertappte ihre Stiefmutter dabei, wie ihr Blick voller Mitleid auf ihr ruhte. Wortlos wandte sie sich wieder dem Feuer zu. Sie verlangte von keinem Mitleid. Sie verlangte lediglich Roriks Haupt.
»Mylady! Kommt schnell!«
Erst als Sewells warnender Schrei ertönte, bemerkte Alaine das Gelärme unten im Burghof. Sie eilte ans Fenster.
»Um Gotteshimmelswillen!« schrie sie.
Beim Klang ihrer Stimme ließen die andere Frauen ihre Arbeit fallen und traten ebenfalls ans Fenster.
»Das ist Tobrik aus Briaux und Uther aus Bethune!«
Rorik, Sihtric und drei weitere Krieger ritten mit klappernden Hufen in den Burghof ein und zogen acht verdreckte und blutige Männer hinter sich her. Die Gefangenen waren mit einem Seil zusammengebunden. Sie schimpften und fluchten, während man sie vorwärts zerrte.
»Das sind alles brave Männer! Treue Männer aus den Dörfern!« empörte sich Alaine. »Was hat der Tyrann jetzt wieder vor? Das geht zu weit! Zu weit!«
Verdutzte Blicke folgten Alaine, als sie mit großen Schritten und fest entschlossener Miene aus dem Zimmer stürmte.
9
Alaine bahnte sich den Weg durch die Menge des neugierigen Burgvolks, das Rorik und seine unglückseligen Gefangenen umringte. Wenige erkannten sie in ihren ärmlichen Kleidern, und sie mußte heftig ihre Ellbogen einsetzen, um sich durch das Menschenknäuel hindurchzuquetschen. Endlich war sie ganz vorne.
Rorik saß auf seinem
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