Die Herrin von Sainte Claire
dunkelbraunen Roß und blickte halb mitleidig, halb verächtlich auf die elenden Gestalten, die er im Burghof zusammengetrieben hatte. Er war die fruchtlosen Geplänkel mit den Bewohnern von Ste. Claire leid. Seine Geduld – niemals eine besondere Stärke von ihm – war allmählich am Ende. Immer noch weigerten sich die Dorfbewohner, ihren Pflichten ihm gegenüber nachzukommen, ob Frondienst oder Abgaben. Versprengte aus Alaines früherer Truppe verharrten trotzig im Wald unter der Führung irgendeines Tölpels, der sich ausgerechnet Retter von Ste. Claire nannte. Nun hatten es auch noch tatsächlich acht Leute dieses Dorfgesindels gewagt, einen seiner Jagdtrupps zu überfallen.
»Peitscht sie einen nach dem anderen am Pranger aus«, befahl Rorik mit mächtiger Stimme. »Laßt sie den Peitschenhieb spüren. Dann laßt uns sehen, wie erpicht sie noch darauf sind, braven Männern aufzulauern, die friedlich ihrer Arbeit nachgehen.«
Der erste, den man an den Pranger fesselte und das Hemd vom Rücken herunterriß, war Uther von Bethune. Er war noch fast ein Knabe. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht, als Roriks Mannen ihn an den Pfahl banden. Trotz der fröstelnden Kälte, glänzte sein nackter Oberkörper vor Schweiß.
Rorik wandte sich an die anderen sieben wartenden Männer. »Achtet genau auf seinen Schmerz, denn jedem von euch wird es ebenso ergehen. Es ist, wie euch wohl bekannt sein wird, eine weitaus mildere Strafe, als ihr sie verdient. Wenn ihr mit brennenden Rücken von den Peitschenhieben in eure Dörfer zurückkehrt, denkt daran; erhebt ihr noch einmal die Waffen gegen mich, so habt ihr euer Leben verspielt.«
Nun richtete er sich an den Burgschmied, der zugleich auch Stockmeister war und gab ihm den Befehl anzufangen. Mit bärbeißigem Gesicht zog der Schmied die Peitsche hervor, dann erhob er den Arm zum ersten Hieb. Noch ehe der erste grausame Schlag auf Uthers Fleisch niedersausen konnte, fegte ein kleiner Wirbelwind aus der gaffenden Menge nach vorn und riß die geflochtene Schnur der Knute aus der Hand des Stockmeisters.
Die Menge hielt den Atem an. Alaine, mit weit aufgerissenen Augen und nach Luft ringend, stand dem verdatterten Schmied gegenüber, in ihrer Hand baumelte die Peitsche. Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Langsam wandte sie sich Rorik zu. Er sah sie gleichmütig an, als könne ihn keiner ihrer Handlungen mehr überraschen.
Mit höchster Anstrengung hielt sie das Schlottern zurück, das ihren ganzen Körper zu erschüttern drohte. Sie erwiderte Roriks Blick mit einer unerschrockenen – wenn auch nur vorgetäuschten Standhaftigkeit. Lange starrten sie sich gegenseitig an. Dann, auf einen Druck der Knie seines Herrn bewegte sich das dunkelbraune Streitroß vorwärts, bis sein warmer Atem Alaines Gesicht streifte. Sie widerstand dem Impuls zurückzutreten und blieb hartnäckig auf der Stelle stehen.
»Ihr dürft diese Männer nicht strafen!« Sie hatte die Worte nicht laut ausgesprochen, aber sie klangen in dem erwartungsvollen Schweigen des menschenüberfüllten Burghofs wie ein Schrei.
Rorik hob abschätzig die Brauen. »Und warum nicht, mein Fräulein?«
»Es sind gute Männer«, gab sie in entschlossenem Ton zurück, »sie dienen treu einer Sache, die sie für gerecht halten.«
Rorik lächelte frostig. »Allerdings sind sie ihrem rechtmäßigen Herrn gegenüber nicht treu. Ohne den geringsten Anlaß, haben sie einen Jagdtrupp meiner Leute überfallen, der auf Pirsch war, um die Speisekammern mit Wildbret zu füllen.«
Alaine spürte die verzweifelten Blicke der Gefangenen hinter sich. Es waren schließlich ihre Gefolgsmänner gewesen, die aus Empörung gegen das ihr zugefügte Unrecht zu den Waffen gegriffen hatten. Sie durfte sie nicht fallen lassen.
»Sie kämpfen für mich«, sagte sie schlicht. »Bestraft mich. Aber nicht sie.«
Rorik starrte sie aus schmalen, mißtrauischen Augen an. »Habt Ihr ihnen befohlen, durch einen Boten oder einem Signal, meine Leute anzugreifen?«
»Nein«, antwortete Alaine. »Ich sagte Euch, daß ich meine Männer zurückrufen würde und das habe ich auch getan. Aber es gibt welche, die ihre Loyalität mir gegenüber nicht aufgeben.«
Etwas von der Spannung war aus seiner Stimme gewichen. »Es ist gut, daß Ihr Eure Beteiligung in dieser Sache verneinen könnt. Sonst würde auch Euer Rücken den Schlag der Peitsche spüren. Was die betrifft«, er wies auf die verschreckten Gefangenen, »kein Mann kann sich gegen seinen Herrn auflehnen
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