Die Herrin von Sainte Claire
schnaubte vor Empörung. »Weshalb sollte ich dieses Schicksal erleiden, Gunnor? Für mein Bemühen, dich, deine Schwestern und deine Mutter zu verteidigen? Für den Versuch, mein Land vor einem Überfall zu bewahren?«
Gunnor zuckte mit den Achseln. »Ich glaube nicht, daß Sir Rorik das so sieht.«
»Woher weißt du, wie Rorik darüber denkt?«
»Na ja …« Das ältere Mädchen lächelte schwärmerisch. »Wir sind uns nähergekommen, weißt du.«
»Sag bloß, du hüpfst mit diesem Lümmel ins Bett!«
Entsetzt hob Gunnor die Brauen. »Um Himmels willen, was für eine derbe Sprache! Selbstverständlich … erweise ich Rorik keine Gunst. Ich bin eine Dame. Ich wärme nicht das Bett eines Mannes vor dem Treueversprechen. Aber ich habe gesehen, wie er mich mit seinen Blicken verfolgte.«
»Pah! Ich wette, er sieht dich nicht anders an wie die Schweine auf dem Feld oder die Hunde im Zwinger. Er hält alles und jedes auf Ste. Claire für sein Eigentum, das er ganz nach Lust und Laune ernten, rupfen oder bespringen kann!«
Gunnor rümpfte die Nase voller Herablassung. »Was verstehst du schon von Männern? Du würdest nie die Zeichen erkennen, wenn ein Mann für eine schöne Maid in Liebe entbrennt. Du warst immer schon zu sehr damit beschäftigt, selbst wie ein Mann zu werden. Hättest du mehr Zeit darauf verwandt, eine Frau zu werden, Alaine, befändest du dich jetzt nicht in dieser mißlichen Lage.«
Alaine schnappte tief Luft. »Gibt es einen Grund, weshalb du dich hier im Saal aufhältst und mich bei der Arbeit störst?«
»Ich wollte dir sagen, wenn ich einmal Herrin in diesem Saale bin, setze ich alles daran, daß Rorik sein grausames Spiel mit dir aufgibt. Ich dachte, das würde dich etwas aufmuntern.« Sie lächelte huldvoll.
»Herrin in diesem …!« Alaine unterdrückte ein Lachen. »Ich bin dankbar für deine Rücksicht, Schwester, aber du solltest dich mehr um dein Wohlergehen kümmern, als um meines. Ich glaube, Rorik läßt sich nicht so leicht um deinen Finger wickeln wie andere Männer. Wenn du ihn mit deinen weiblichen Reizen ködern willst, ist er der Mann, der danach greift und dich in der Falle hat. Also paß auf dich auf, Gunnor.«
»Ts!« schnalzte Gunnor mitleidig. »Arme Alaine. Du hast dich geweigert, das Los der Frauen anzunehmen und darauf bestanden, wie ein Mann zu kämpfen. Und sieh dich jetzt an, deine Hände sind rissig, während wir armen Frauen in der Kemenate dem Müßiggang nachgehen. Du bist schwer von Begriff, Schwester.«
Alaine zog eine Grimasse, als ihre Schwester den Saal verlassen hatte. Sie wußte, es war Gunnors Absicht gewesen, sie aufzustacheln, nicht sie zu trösten. Seit ihrer ersten Begegnung stand sie mit ihrer Stiefschwester auf Kriegsfuß. Als Sir Geoffrey Joanna zur Gemahlin genommen hatte, waren nur zwei Töchter mit der neuen Herrin auf Ste. Claire eingezogen. Sechs Monate später traf Gunnor ein. Drei Jahre lang war Joannas älteste Tochter die Frau des reichen und mächtigen Osbern Caronne gewesen. Sie wurden in Osberns sechzigstem Lebensjahr getraut und in seinem dreiundsechzigsten erlag der Gemahl einer Krankheit der Knochen und Gelenke. Kinderlos, wurde Gunnor zu ihrer Familie zurückgeschickt. Osberns Familie behielt seine riesigen Ländereien sowie die Güter, die er Gunnor am Tage ihrer Hochzeit als Mitgift geschenkt hatte. Gunnor war auf Ste. Claire als eine Frau mit bitteren Erinnerungen und trüben Zukunftsaussichten gekommen. Ihre einzige Beschäftigung schien die zu sein, das Leben der anderen mit ihrer scharfen Zunge schwarz machen, und bald war Alaine ihr bevorzugtes Angriffsziel. Die Ungerechtigkeit, daß Alaine die fruchtbaren Ländereien von Ste. Claire sowie der reichen Güter ihrer Mutter auf den Kanalinseln erben würde, war mehr, als Gunnor ertragen konnte. Ihre Genugtuung beim Anblick ihrer Stiefschwester als schuftende Küchenmagd, konnte sie einfach nicht verbergen.
Alaine wußte dies alles, und da sie den Grund für die Verbitterung ihrer Stiefschwester kannte, war es ihr unmöglich, Gunnor wegen ihres Hohnes und Spottes allzusehr zu verachten. Meistens tat Alaine sie als kleinliche und engstirnige Person ab.
Warum also versetzte ihr der Gedanke, daß Gunnor Rorik in ihre Bett lockte, einen scharfen, schmerzhaften Stich durchs Herz? Ihre unzufriedene Stiefschwester würde niemals die Stelle Alaines als Herrin auf Ste. Claire einnehmen, wenn sie es sich auch noch so gerne vorstellte; und wenn sie Rorik erhörte, daß er sich an
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