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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
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Temperatur, obwohl er in Wahrheit hohes Fieber hat. Gegenüber Ottla gibt sie das Fieber zu. Franz habe abgenommen, er sei schwach, sie bemühe sich nach Kräften. Darauf Ottla: Das tut mir leid, ihr wart so glücklich. Sie versucht zu trösten, im Dezember ist das Fieber wieder weggegangen, trotzdem sei man in großer Sorge, Berlin tue ihm nicht gut, ohne jeden Vorwurf, nicht als sei Dora schuld daran, da sie im Gegenteil von Anfang an sein Glück gewesen sei.
    Abends, wenn sie an seinem Bett sitzt und etwas näht oder seinen Schlaf beobachtet, fragt sie sich, wer er ist. Ist er das, was sie sieht, ein fiebernder Mann, mit dem sie lebt, der sie küsst, der ihr vorliest, die komische Geschichte mit dem Affen, gelegentlich einen Brief, wenn er an seine Eltern schreibt und so tut, als wäre nichts. Er hat sich zur Wand gedreht, deshalb kann sie sein Gesicht nicht sehen, doch sie weiß, dass da seit Kurzem etwas ist, das sie nicht kennt, ein Leuchten, hat sie das Gefühl, aber anders als damals in der Nacht, als er sie geweckt hat. Diesmal ist es die Krankheit, glaubt sie. Dabei hat sie über die Krankheit bisher kaum nachgedacht, als wäre sie eine frühere Geliebte, etwas, das zu ihm gehört und auf das sie nicht eifersüchtig ist. Sie bekommt den Gedanken nicht richtig zu fassen, kann nicht mal sagen, dass sie sich fürchtet, sie stellt es nur fest und hütet sich vor voreiligen Schlüssen.

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    N ATÜRLICH GIBT ES D INGE, die er vermisst, aber weniger schmerzlich, als er gedacht hat, die Spaziergänge, die bei diesen Schneemengen Expeditionen gleichkämen, die Bewegung, das Licht. Die Stadt ist seit Wochen fern wie der Mond. Aber er steht zur Abwechslung auf, denn Rudolf Kayser von der Neuen Rundschau ist in die verschneite Heidestraße gereist und traut seinen Augen nicht. Dass man bei seinem Anblick erschrickt, ist der Doktor inzwischen gewohnt. Er liegt auf dem Sofa und reicht dem sichtlich betroffenen Kayser die Hand, macht eine Bemerkung zur letzten Nacht, die nun wirklich nicht besonders gewesen ist, die ganzen letzten Tage waren nicht besonders. Aber er bemüht sich, lächelt, fühlt sich eigentlich recht wohl, man meint es gut mit ihm. Dora hat wie immer einen Imbiss vorbereitet, er gibt zu, dass er ohne Dora nicht überleben könnte in Berlin, ja, fast macht er ihr eine Liebeserklärung vor dem fremden Mann, der für den Doktor wie ein Bote aus dem entschwundenen Leben ist. Es geht lebhaft hin und her, man redet über Bücher, das Theater, gemeinsame Bekannte, aber so, als wäre es ein für alle Mal vergangen, was dem Doktor auf die Dauer nicht behagt. Ist er schon so hinfällig? Dora berichtet vom Auf und Ab der letzten Wochen, erwähnt die Episode mit den Kerzenstümpfen. Über die Arbeit, so glaubt er, muss man unter den gegebenen Umständen nicht sprechen, aber nein, Kayser erkundigt sich danach, der Doktor weicht aus, essei nicht der Rede wert, was die Sache nur schlimmer macht, denn nun beginnt ihn Kayser zu loben, redet von den paar Texten, die veröffentlicht sind, weiß erstaunlich gut Bescheid, zitiert im Gehen die Stelle aus dem Heizer, wo der junge Roßmann die Freiheitsstatue erblickt, und verabschiedet sich mit den besten Wünschen.
    Wie immer nach einem langen Besuch bleibt er tags darauf im Bett, was nicht heißt, dass er am Morgen nicht aufsteht und sich rasieren geht, im Bad vor dem Spiegel, wo er eine Weile sein Gesicht studiert. Inzwischen sieht er beinahe wie ein Kind aus, man kann es nicht deutlich genug sagen, er ist krank, aber das Auffällige ist doch dieser Ausdruck, als hätte er sein halbes Leben gebraucht, um wie ein verdruckster Primaner auszusehen, und kaum hat er diese Stufe erreicht, entwickelt er sich zurück zum Kind.
    Was Dora denkt, weiß er nicht. Sie sagt ihm nicht, was sie an ihm sieht, wahrscheinlich, weil es zu offensichtlich ist, weil sie glaubt, ihn nicht beunruhigen zu dürfen, als würde nicht sein, was man nicht ausgesprochen hat. Ihm passen zum Beispiel seine Anzüge nicht mehr, alles hängt nur irgendwie an ihm herunter, sogar in seiner Wäsche ist Platz. Die Straßenschuhe dürften ihm noch passen. Aber wann hat er letztmals Straßenschuhe gebraucht? Sogar sein Kopf wirkt geschrumpft; von den Ohren weiß er, dass sie bis ins Alter wachsen. Aber er wird nicht alt. Das denkt er, seit er denken kann. Er wird sterben, wenn er jung ist, ungefähr in einem Zustand wie jetzt, ohne die geringste Weisheit.
    Nicht zum ersten Mal fragt er sich, was bleibt. Er

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