Die Herrlichkeit des Lebens
Besichtigung stellt sich heraus, dass die Frau Witwe ist. Ihr Mann, ebender Schriftsteller, an den er gedacht hat, ist vor Jahren an der Spanischen Grippe gestorben. Einen Moment wirkt sie irritiert, dass der Doktor das nicht weiß, es hat in allen Zeitungen gestanden, am Ende nicht nur in den Berlinern. Na gut. Die beiden Zimmer mit Ofenheizung sind passabel, findet er, eher sonnig, falls die Sonne nur schiene, sie befinden sich im ersten Stock, sodass man weitestgehend für sich sein dürfte, in noch ländlicherer Umgebung als in Steglitz. Der Preis ist nicht ungebührlich hoch, aber trotzdem unerschwinglich. Heidestraße 25–26. Vom Fenster hat man einen schönen Blick, auch den Garten dürfen sie benutzen, im bevorstehenden Frühling, wenn das Ärgste hoffentlich vorbei ist.
Länger als zehn Wochen sind sie bisher in keiner Wohnung gewesen.
Ein paar Tage schwankt die Stimmung zwischen Erschöpfung und Erwartung. Die beiden Besichtigungen warendoch etwas viel, doch sonst ist er guter Dinge, er hustet nicht, die Temperatur ist konstant, alles um ihn herum ist sehr ruhig, auch in ihm drin, wo kein rechter Gedanke ist, kein genauer Satz, keine Idee für irgendwas.
Zum Abschied gehen sie noch einmal durch das Viertel, als wäre es das letzte Mal, obwohl sie jederzeit wiederkommen können. Im Botanischen Garten begegnet ihnen ein alter Fuchs, in einer Gruppe von Fichten steht er und schaut geduldig zu ihnen herüber, als würde er grüßen, ohne jede Angst. Das war Steglitz, sagt der Doktor, und Dora sagt, dass sie sehr gern in Steglitz gewesen ist, es war die glücklichste Zeit ihres Lebens.
Max hat angerufen und gesagt, dass er in der Stadt ist, um mit Emmy zu sprechen. Am Nachmittag kommt er kurz vorbei, Emmy und er haben sich irgendwie verheddert, sie können kaum mehr reden, etwas ist noch da und doch schon zerstört, Franz und Dora, hat er gedacht, bringen ihn auf andere Gedanken. Einen Rat hat niemand. Dora hat das meiste schon gepackt, aber jetzt ist es erst mal genug, es gibt Tee und Gebäck und später eine lange Lesung aus den letzten beiden Geschichten. Dora hat sich das gewünscht, sie freut sich, weil sie alles kennt, während Max bis zuletzt ohne jede Regung auf seinem Stuhl sitzt und dann lange schweigt und etwas sehr Schönes über unterirdische Bauten sagt.
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A M T AG DES U MZUGS ist er krank. Er hat Fieber, er glüht, ist aber wie im Dezember ohne Beschwerden, seltsam munter, alles andere als überrascht, eher verärgert, dass er neuerlich nicht helfen kann und im Bett liegt und sich nur wundert, wie viele Sachen zu transportieren sind, augenscheinlich hat sich ihr Hausstand seit September ziemlich vergrößert.
Das Wetter ist für einen Umzug nicht günstig. Es regnet, dazu weht ein kräftiger Wind, aber sie beklagt sich nicht, außerdem ist sie nicht allein, ein Mädchen aus Müritz, Reha, hat sich bereiterklärt zu helfen, sie haben sich kürzlich getroffen und über die alten Zeiten gesprochen, so war es nicht schwer, sie zu bitten. Der Weg von der Bahnstation ist weit, zu Fuß eine Viertelstunde, das Gepäck ist schwer, deshalb bleiben sie ab und zu stehen, um zu verschnaufen, aber Dora drängt zur Eile, sie ist besorgt wegen des neuerlichen Fiebers, wie seltsam er lächelt, als wüsste er Dinge, die sie nicht mal ahnt. Zweimal fahren sie hin und her, bis am frühen Nachmittag nur noch Kleinigkeiten bleiben. Da Franz bei diesem Wetter unmöglich auf die Straße kann, wird beschlossen, die letzte Fuhre mit dem Wagen zu machen, ein halbes Vermögen kostet der Spaß, aber dann ist es geschafft. Es ist das letzte Mal, sagt Franz, und auch Dora glaubt, dass es das letzte Mal ist, hier in Berlin wird es keine weitere Wohnung mehr geben.
Wieder vergehen Stunden zwischen Hoffen und Bangen. Aber es ist schön, immer nach ihm zu sehen, ob er endlich schläft, denn hin und wieder schläft er, und dann küsst sie ihm die heiße Stirn, oder sie steht nur da und beobachtet, wie er leise atmet, das Heben und Senken der Brust. Aus dem Haus kann und darf er weiter auf keinen Fall. Sie haben eine Einladung für einen Vortragsabend mit Ludwig Hardt, er liest auch Texte von Franz, deshalb wären sie gerne hingegangen, aber nun ist gar nicht daran zu denken. Franz sagt den Abend ab, schreibt einen kurzen Brief, den zu überbringen wiederum Reha gebeten wird, denn Hardts Hotel ist weit weg in der Stadt, und so lange möchte Dora Franz nicht allein lassen.
Leider geht die Sache schief. Offenbar hat
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