Die Herrlichkeit des Lebens
der Brief seinen Adressaten nicht erreicht, zumindest gibt es keine Antwort, weshalb ein zweiter Brief geschrieben werden muss. Diesmal soll ihn Dora überbringen, und wirklich geht sie am Abend hin und hört den Vortrag des berühmten Mannes. Nach der Veranstaltung hat sie Mühe, zu ihm vorzudringen, denn es stehen eine Menge Leute um ihn herum, es gibt Fragen, Komplimente für die Art, wie er liest, die komische Geschichte von dem Affen, der zum Menschen geworden ist. Sie sei Dora, sagt sie; sie habe eine Nachricht für ihn. Aus Versehen nennt sie nur den Vornamen, Franz sei leider krank, sagt sie, der Abend habe ihr sehr gefallen. Erst jetzt begreift er, von wem die Rede ist, liest den Brief, bedauert, dass es Franz nicht gut geht, wie gerne er gekommen wäre, doch leider, morgen in der Früh mit dem ersten Zug reise er ab.
Franz ist enttäuscht, aber nicht allzu sehr, er hat Hardt seit Jahren weder gehört noch gesehen. Über die Geschichte kann sie nicht viel sagen. Der Affe tut ihr leid, sagt sie. Istes nicht schrecklich, dass er werden musste wie wir? Sie fragt sich, wie man sich solche Geschichten ausdenken kann. Rotpeter, allein der Name. Was seine Eltern von diesem Affen halten? Auch sie haben den Vortrag gehört, sie haben davon geschrieben, aber anders als in Berlin, wo der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war, scheinen sie in Prag beinahe die einzigen Zuhörer gewesen zu sein.
Am meisten fürchtet Franz den Besuch der Mutter. Das Fieber kommt und geht, damit lässt sich leben, aber was um Himmels willen, wenn die Mutter hier in der Wohnung steht. Leider scheint es längst Pläne zu geben, auch ein Onkel möchte nach dem Rechten sehen, er hat eine größere Summe für außerordentliche Ausgaben geschickt, schon deshalb lässt es sich wohl nicht mehr verhindern. Franz stöhnt, für ihn ist es ein Albtraum, denn sind sie erst in Berlin, werden sie versuchen, ihn hier wegzuholen, während Dora einem Besuch auch angenehme Seiten abgewinnt, schließlich ist es seine Mutter, man könnte sich endlich kennenlernen und besprechen, was am besten zu geschehen hat.
Hör zu, sagt sie. Ein paar Tage, immer wieder. Abends im Bett, wenn er schläft, wenn sie an sich glaubt. Hör zu. Es ist nicht schlimm, was immer geschieht, all die dummen Sätze, die sie leider nur flüstern kann, warum alles beschlossen ist, von Anfang an, jedenfalls in ihr, was immer mit dir wird.
Kurz vor dem Umzug hat er einer Tante geschrieben, die in einem Ort namens Leitmeritz lebt und erst jetzt geantwortet hat, leider nicht sehr freundlich, offenbar weil sie glaubt, er und Dora wollten bei ihr einziehen. Dabei hatte er nur gebeten, sich ein bisschen umzuhören, ob in derGegend etwas für sie zu haben sei, zwei, drei möblierte, möglichst abgeschlossene Zimmer in einer Villa.
Sonst ist nicht viel.
Er liegt bei offenem Fenster im Schaukelstuhl in der Sonne und schreibt an seine Eltern, dass er sich hoffentlich nächstens auf die Veranda wagen kann.
Er liegt im Bett und blättert in seinen Heften, schüttelt den Kopf über die Ausbeute der letzten Wochen, die sehr mager ausgefallen ist. Richtig trösten kann sie ihn nicht. Er wirft sich vor, sich zu wenig bemüht zu haben, all die langen Stunden im Bett. Aber du bist krank, sagt sie. Schon im Dezember warst du krank, hast du das vergessen? Doch er bleibt dabei. Sein halbes Leben habe er vertrödelt. Warum hat er sich nie etwas dabei gedacht? Wie ein Kind, sagt er. Aber Kinder gehen in die Welt, sie verlassen das Bett, während es bei mir gerade umgekehrt ist: Statt in die Welt zu gehen, verkrieche ich mich immer öfter unter irgendwelchen Decken.
Er hat der Familie die neue Telefonnummer geschickt, unter der Bedingung, dass er nicht an den Apparat muss.
Er ist schmal, bei jedem Aufstehen kann man sehen, wie schwach er ist. Das Kochen hat sie so gut wie aufgegeben, sie kauft Obst, sie bringt ihm Buttermilch, ihren Mund, manchmal eine Zeitung.
Nach und nach rufen sie alle an, erst Elli, dann Ottla, die Mutter. Das Telefon ist unten, frei in der Halle, sodass man nicht gut sprechen kann, sie friert, sie beginnt zu zittern, wenn sie länger spricht. Mit Elli ist es noch ameinfachsten. Sie steht ihr nicht sehr nah, deshalb lässt sich die Lage beschönigen, zum Besten stehe es zwar nicht, die neue Wohnung sei ein wenig laut, nicht ganz so angenehm wie die vorige. Es sei kalt, man verlasse kaum das Haus, gibt sie zu, und ja, Franz sei wohlauf, allerdings liege er im Bett, er habe
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