Die Herrschaft der Drachen 01 - Bitterholz
verschwommen. Er konnte kaum die Umrisse des Drachen erkennen, als er den Pfeil abschoss.
Er schloss die Augen und sackte zurück gegen das tote Pferd. Hätte er noch an einen barmherzigen Gott geglaubt, er hätte darum gebetet, dass der abgeschossene Pfeil sein Ziel finden würde.
Heißer, stinkender Atem blies gegen seine Wange.
»Du hast danebengeschossen«, flüsterte der Drache ihm ins Ohr.
Bitterholz öffnete die Augen und stellte fest, dass er direkt in die Nüstern eines Drachen blickte. Die weißen, schwadenartigen Federn um seine Schnauze wehten im Atem des Drachen. Bitterholz tastete mit der Hand nach dem Köcher, um einen zweiten Pfeil herauszuziehen.
Der Drache brachte seine Schnauze dazwischen, hielt Bitterholz’ Hand von dem Köcher fern. Ein Geräusch, das halb ein Schlürfen war, halb ein Knacken, hallte durch das steinerne Gelände. Bitterholz spürte einen betäubenden Druck am Ende seines Arms.
Der Drache brachte sein Gesicht erneut auf eine Ebene mit Bitterholz’ Augen. Zwischen seinen dolchähnlichen Zähnen befand sich die abgetrennte Hand von Bitterholz. Der Drache begann, genussvoll daran zu kauen.
Ein letzter verbleibender Widerstand rührte sich in Bitterholz,
und er hob seine noch heile Hand, stieß sie gegen die Schnauze des Drachen und zog sie zurück, um erneut zuzustoßen. Der Drache spuckte die abgebissene Hand aus, und sie klatschte speichelverschmiert gegen Bitterholz’ Wange. Der Drache fing Bitterholz’ zweiten Stoß mit dem Mund auf, so dass sich Bitterholz’ Arm bis zum Ellbogen im Maul der Bestie befand. Das Letzte, was er spürte, war die raue Zunge des Drachen an seinen Fingern. Dann presste die Bestie die Kiefer zusammen, und Bitterholz spürte gar nichts mehr.
Er sackte gegen sein Bett aus Knochen und Fleisch, während das Leben aus ihm heraussickerte, und spürte jeden verklingenden Herzschlag. Die roten Schuppen des Drachen schimmerten wie Feuer, als die Bestie näher kam, um ihm beim Sterben zuzusehen.
Dann machte der Drache einen Satz zurück. Bitterholz’ Augen folgten der Bewegung reflexhaft. Die Schuppen der Bestie schimmerten nicht mehr wie Flammen – sie brannten regelrecht. Der Drache schrie wie ein Welpe, der sich verbrüht hatte, während strahlend weiße Flammen über seinen ganzen Körper tanzten. Er kam in wenigen Augenblicken zu Tode – seine Haut und die Muskeln verkochten in einer schrecklichen Hitze. Übler, öliger Rauch wogte über Bitterholz hinweg, stank nach verbrannten Federn und verkohltem Fleisch. In weniger als einer Minute erstarben die Flammen, ließen nur einen Haufen schwarzer Knochen zurück, die rasch zerbröselten, bis sie bloß noch Staub waren.
Bitterholz wusste, was geschehen war. Die Tore der Hölle hatten sich für ihn geöffnet, und die Hitze des höllischen
Schmelzofens hatte den Drachen gepackt. Es war an der Zeit, für all seine Sünden zu bezahlen. Stumm schloss er die Augen und ergab sich dem glühenden grünen Teufel, der auf ihn zuschritt. Das letzte Geräusch, das er hörte, war das Summen von Fliegen.
Leise Musik erklang, als Bitterholz langsam erwachte, wurde auf Instrumenten gespielt, die er nicht kannte. Das Geräusch war flüchtig; eine Frauenstimme sang dazu wortlos in vollendeter Harmonie. Die Luft war kühl und trocken und roch nach frisch gewaschener Baumwolle. Er öffnete die Augen und fand sich in dem saubersten Zimmer wieder, das er jemals gesehen hatte. Licht strömte aus jeder Richtung durch helle, durchsichtige blaue Wände. Der Raum hatte eine kuppelförmige Struktur, so weit er erkennen konnte. Da Schatten und Ecken fehlten, war es schwer, seine Größe zu bestimmen. Als Bitterholz sich aufsetzte, um einen besseren Blick zu bekommen, stellte er fest, dass er nackt war und unter einem Baumwolllaken auf einer festen, weißen Matratze lag. Er hob den rechten Arm vor sein Gesicht, fand zu seiner Verblüffung eine Hand. Eine fremde und neue Hand, die unbeholfen war und so rosafarben wie die Haut eines Säuglings, ohne Nägel, ohne Haare und heftig juckend.
Er hob den linken Arm, um sich zu kratzen … und bemerkte dort eine zweite neue Gliedmaße, ebenfalls mit hellen, weißen Fingern. Seine Hände fühlten sich an, als würden Ameisen darüber laufen, ebenso wie über seine Beine. Er trat die Laken weg und stellte fest, dass auch seine Beine wiederhergestellt waren. Nicht einmal eine Prellung war
zu sehen. Was seine Zehen betraf, bemerkte er etwas sehr Seltsames, denn er konnte sie sehr
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