Die Herrschaft der Drachen 03 - Blasphet
sich, ob sie sich abgestoßen fühlte. Er warf einen Blick über die Schulter und stellte fest, dass sie nur wenige Zoll von ihm entfernt stand und auf seinen Rücken starrte. Ihre Hand legte sich sanft auf seine Schulterblätter, und ihre Finger strichen über die Karte aus üblen, weißen Narben.
»Bei den Gebeinen«, flüsterte sie. »Du hast gesagt … du hast gesagt, dass du ausgepeitscht worden bist, aber …« Sie beendete den Satz nicht. Shay wusste, warum.
Die schlimmsten Schläge ließen sich am besten als Häutung beschreiben, da die Peitsche die Haut und Muskeln weggerissen hatte und bis zum Knochen durchgedrungen war. Deshalb stand er immer mit runden Schultern und einem leichten Buckel da. Wegen der Narben und der Muskelschädigungen konnte er sich nicht einmal richtig aufrecht hinstellen, wenn er es versuchte.
»Du hast gesagt, dass ich mutig wäre«, flüsterte sie mit zittriger Stimme, »aber so etwas hätte ich niemals aushalten können. Es ist unvorstellbar, dass du noch am Leben bist, ganz zu schweigen davon, dass du so voller Hoffnung bist. So bereit, alles zu riskieren, um dein Wissen mit der Welt zu teilen. Ich weiß nicht, ob ich noch so widerstandsfähig wäre, wenn man mir so etwas angetan hätte.«
»Ich war schon immer stur«, sagte Shay und brachte ein schwaches Grinsen zustande. »Ich habe über Dinge wie Freiheit und Gerechtigkeit und Liebe gelesen, und ich habe daran geglaubt. Ich wollte so etwas erfahren. Und wenn eine von Drachen regierte Welt diese Dinge nicht bietet, dann würde ich die Welt verändern müssen, das wusste ich von früh an. Chapelion hat sich Mühe gegeben, meine Träume zu Staub zu zermalmen. Ich bin nicht mutig, Jandra. Ich habe gebettelt, um den Peitschenhieben zu entkommen. Ich habe geweint,
bevor das Leder meinen Rücken berührt hat, und ich habe alle Überzeugungen widerrufen, die ich jemals hatte. Wenn sie fertig waren, haben die Sklavenjäger mich dazu gezwungen, mich hinzuknien und ihnen die Klauen zu küssen, aus Dankbarkeit dafür, dass sie sich meiner Besserung widmen. Ich bin vor ihnen auf dem Bauch gerutscht, Jandra. Es ist nicht Mut, was mich antreibt. Es ist Angst. Scham. Ich schlitze mir eigenhändig die Kehle auf, bevor ich mich noch einmal wieder vor einem Drachen verbeuge.«
Stumm nahm sie seine Hand und führte ihn zum Teich. Vorsichtig traten sie gemeinsam in das kühle Wasser, hielten sich an den Händen, um auf den glitschigen, glatten Steinen nicht auszurutschen. Shay zitterte, als das Wasser seine Beine hochkroch. Sie näherten sich dem weiß schäumenden Wasser am Rand des Wasserfalls, und plötzlich rutschte er aus. Er fiel ins Wasser, zog Jandra dabei mit sich in die Tiefe. Sie fuchtelten beide herum, und ihre Beine und Arme verhedderten sich. Dann hörten sie beide auf zu fuchteln, als Jandra sich mit ihren Brüsten an seine Brust drückte. Sie hielten einander fest umschlungen, als sie wieder zur Oberfläche aufstiegen. Jandras Körper fühlte sich trotz des kühlen Wassers heiß an.
Sie wippten auf der Wasseroberfläche auf und ab. Das Wasser hier war tief; Shay konnte den Grund mit ausgestreckten Zehen gerade eben berühren. Jandra schwebte im Wasser; sie hatte die Arme immer noch um seine Schultern und ihr linkes Bein um seine Hüfte geschlungen. Graues Wasser strömte von ihren kohlegeschwärzten Haaren. Dunkle, ölige Flecken bildeten sich auf ihren Wangen, als das Wasser den Schmutz aus der Haut zu lösen begann. Ihr Gesicht war nur wenige Zoll von seinem entfernt.
»Das ist sauber genug«, murmelte sie und drückte ihre Lippen auf seine.
Seine Vermutung bestätigte sich. Küssen war recht einfach zu erlernen. Er schloss die Augen, während sich seine Zehen einrollten und sie schwerelos im Wasser dahintrieben.
»Schreckliche Vögel«, sagte Echs.
Jandra riss die Augen auf. Der kleine grüne Erddrache hockte gleich neben ihrem Kopf. Das Feuer hinter Echs war ausgegangen; nur noch ein bisschen qualmende Kohlenglut war zu sehen. Shay schlief noch unter der Decke neben ihr und hatte seinen knochigen Arm über ihren Oberkörper gelegt. Es war warm unter der Decke, da sie sich gegenseitig wärmen konnten. Jandra war nicht in der Stimmung, aufzustehen und sich ums Frühstück zu kümmern.
»Geh und fang ein paar Fische«, murmelte sie. Sie zog die Decke bis unter das Kinn und kuschelte sich ein. Sie fühlte sich wunderbar. Zum ersten Mal, seit die Göttin ihre Erinnerungen verändert hatte, kam es ihr so vor, als würde
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