Die Herrschaft der Drachen 03 - Blasphet
wenige Zoll und grub sich stattdessen in ihren Rucksack. Guido hatte besser gezielt; sein Bolzen traf Shay knapp oberhalb des linken Knies, an der Innenseite des Oberschenkels. Shay öffnete den Mund wie zu einem Schrei, gab aber keinen Laut von sich. Jandra musterte die Wunde rasch und merkte, dass der Bolzen die Haut nur oberflächlich aufgerissen hatte. Die Muskeln schienen nicht verletzt worden zu sein, was sich bestätigte, als Shay auf die Beine sprang.
Jandra ließ die Decke los und sprang zu dem Gewehr.
»Süße Göttin! Sie ist nackt!«, rief Guido. »Shadrach, du musst …«
»Halt den Mund!«, sagte Shadrach und schlug Guido den Kolben seiner Armbrust gegen die Nase.
Der Schlag ließ Guido durch die Luft wirbeln. Er stürzte dem Salzsee entgegen und fing sich erst fünf Fuß über der Wasseroberfläche mit einem heftigen Schlag seiner silbernen Flügel, der Wellen bis ans Ufer schickte.
»Bastard!«, fauchte Guido.
»Die Göttin ist tot!«, schrie Meshach. Speichel spritzte von seiner zitternden Unterlippe. Er war jetzt der Einzige, der noch eine geladene Armbrust hatte, und richtete die Waffe auf Shadrach. »Ich tue, was mir gefällt! Es gibt kein Gesetz!«
Er schoss, und der Armbrustbolzen ging sauber durch Shadrachs Hals. Der bärtige Mann verdrehte die Augen, während er sich zu neigen begann. Sein Körper wurde schlaff, ebenso wie die Flügel. In einer wilden Spirale stürzte er dem felsigen Ufer entgegen und landete mit einem nassen Klatschen auf dem schwarzen Strand.
»Die Frau gehört uns!«, schrie Meshach und funkelte Jandra mit dem einen gesunden Auge gierig und lüstern an.
Jandra hatte den Beutel mit den Schrotkugeln in den Gewehrlauf gestopft, den Ladestock herausgezogen und auf die Decke zu ihren Füßen fallen lassen. Sie zielte auf Meshach. »Ich finde, ich habe da auch noch ein Wörtchen mitzureden«, sagte sie und betätigte den Abzug. Nichts passierte. Ah, ja. Die Sicherung.
Meshach ließ die Armbrust fallen und hielt auf sie zu. Er hatte die Arme geöffnet und plante offenbar, sie zu packen und in den Himmel mitzunehmen. Sie fummelte an der Sicherung herum, aber irgendwie konnten ihre Finger sie nicht so recht finden. Auch Guido raste jetzt auf sie zu, doch er war bereits niedriger, glitt nur wenige Fuß über dem Boden dahin.
Plötzlich schoss Echs aus dem Teich – die Klauen ausgestreckt, das Maul weit aufgerissen – und kreuzte Meshachs Flugbahn wie ein wütender grüner Luchs. Meshachs bereits verunstaltetes Gesicht prallte mit einem deutlich hörbaren Geräusch gegen den Bauch des kleinen Drachen. Echs’ Klauen schlossen sich wie eine mechanische Falle um den Kopf des fliegenden Mannes. Meshach stieg schreiend höher. Jandra zielte mit dem Gewehr auf ihn; ihre Finger hatten die Sicherung endlich gefunden. Sie konnte jedoch unmöglich ganz sicher sein, dass sie nicht Echs treffen würde, wenn sie schoss. Sie senkte das Gewehr und zielte auf Guido, aber auch dieses Ziel war verstellt. Shay sprang dem angreifenden Wächter entgegen; der kurz geratene, geflügelte Mann prallte in Kniehöhe gegen die schlaksige, nackte Gestalt von Shay und schleuderte ihn beiseite. Der Aufprall genügte, um Guido aus der Bahn zu werfen. Er knallte mit dem Gesicht voran auf den felsigen Strand und rollte dann sich überschlagend weiter, bis er mit einem Platschen im Teich endete. Er lag schlaff da; sein Kopf war unter Wasser.
Meshach, der sich noch immer gegen Echs zur Wehr setzen musste, war wieder auf den See hinausgeflogen. Er befand sich jetzt dreißig Schritt vom Ufer entfernt; seine Zehen berührten die Wasseroberfläche, als würde er darauf tanzen. Mit beiden Händen umklammerte er Echs und versuchte, ihn von sich wegzuzerren. Echs hatte sich mit seinem schildkrötenähnlichen Schnabel in der rechten Augenbraue des Mannes verbissen, als wollte er nie wieder loslassen, und beide Vorderklauen kurz hinter den Ohren in Meshachs Kopfhaut vergraben. Meshach stieß eine Reihe unzusammenhängender Laute aus, die gut und gern Flüche sein mochten.
Shay richtete sich nach dem Zusammenprall auf Hände und Knie auf. Er schüttelte den Kopf. Abgesehen von dem Blut, das aus der Armbrustbolzen-Wunde tropfte, wirkte er unversehrt. Jandra lief zum Ufer; sie machte sich Sorgen um Echs, falls Meshach noch weiter weg fliegen sollte.
Meshach stieß einen markerschütternden Schrei aus, als er den kleinen Dämon schließlich von seinem Gesicht wegriss und ins Wasser warf. Echs hinterließ eine
Weitere Kostenlose Bücher