Die Herrschaft der Drachen 03 - Blasphet
Aber nachdem er so viel Zeit hilflos in seinem Rollstuhl verbracht hatte, war er begierig darauf, seine Bewegungsunabhängigkeit wiederzubekommen. Selbst das Fortbewegen auf dieser Krücke fühlte sich an wie Laufen, nachdem er so lange an den Stuhl gefesselt gewesen war.
Er erreichte die oberste Sprosse der Leiter und warf die Krücke
auf den Weg, der an den Zinnen entlangführte. Er ächzte, als er versuchte, die Riemen wegzuschieben, mit denen das Eulenglas an seinem Rücken befestigt war. Unglücklicherweise veränderte sich in dem Moment, als er sich nach hinten lehnte, sein Masseschwerpunkt. Die Leiter bewegte sich langsam von der Mauer weg.
Ein großer brauner Stiefel, vollkommen mit Matsch verschmutzt, setzte sich auf die Sprosse bei seinen Fingern und hielt die Leiter auf. Steinmauer stand über ihm und runzelte die Stirn, als er nach unten sah. Der Mann murmelte etwas, das Burke nicht ganz verstand, dann bückte er sich und zog Burke am Handgelenk hoch. Ehe Burke Einwände erheben konnte, hob der Riese ihn in die Luft und bewegte ihn mit weniger Mühe, als man eine Hauskatze heben würde.
Steinmauer brachte Burke auf Augenhöhe mit sich. Trotz seiner Größe besaß Steinmauer jugendliche, beinahe jungenhafte Gesichtszüge. Seine Wangen und das Kinn waren glatt und zeigten keinerlei Bartspuren; die Haut um seine Augen war frei von Falten oder Flecken. Seine Augen waren von einem durchdringenden Grau, das an frisch gekühltes Roheisen erinnerte. Die ebenholzfarbigen Haare umrahmten sein Gesicht mit kleinen Löckchen.
»Ihr solltet vorsichtiger sein«, sagte Steinmauer, dessen Stimme so tief wie die eines Sonnendrachen klang und doch auch sanft war.
Burke nickte. »Du kannst mich runterlassen.« Steinmauer stellte Burke ab. Burke hüpfte zu der Mauer und nutzte sie als Stütze, während Steinmauer ihm seine Krücke reichte.
»Solltet Ihr überhaupt schon hier oben sein?«, fragte Steinmauer. »Ihr hattet nur ein paar Tage Zeit, um Euch von Eurer Operation zu erholen.«
»Ich kann mich nicht noch länger ausruhen«, sagte Burke
und nahm das Eulenglas herunter. »Es gibt zu viel zu tun. Ich bin es leid, diese Festung vom Bett aus zu leiten.«
Steinmauer kreuzte seine gewaltigen Arme vor der Brust. Sein Kettenhemd klirrte, als er sich bewegte. »Diese Festung wird von Ragnar durch Gottes Gnaden befehligt. Ihr beratet ihn lediglich.«
Burke wollte mit diesem übergroßen Bauernjungen nicht darüber streiten. In dem Moment, als er sich für die Rebellion entschieden hatte, hatte er gewusst, dass er selbst alle Arbeit tun und Ragnar all den Ruhm ernten würde. Tatsächlich wollte er auch, dass es so war. Er war zwanzig Jahre zuvor bei der Südlichen Rebellion einer der Anführer gewesen, und in seinen Träumen hörte er immer noch die Schreie der von ihm angeführten Menschen, als die Sonnendrachenarmee sie zerfetzt hatte. Diese neue Rebellion mochte seinen Plänen gefolgt sein, aber was die Männer brauchten, waren Ragnars Feuer und seine Höllenpredigten. Es lag nicht an Burke, wenn diese Männer sich dafür entschieden, für Ragnars Ruhm zu sterben.
Burke, der Steinmauer nicht weiter beachtete, öffnete die Messingschnallen des schweren Kastens. Drei Beine kamen zum Vorschein und bildeten ein Dreibein, auf dem der Kasten stand. Die Bretter des Kastens klappten zur Seite und enthüllten eine Messingstatue in Gestalt einer Eule von beinahe zwei Fuß Höhe. Das Glas der Eule spiegelte sein Bild im warmen Morgenlicht wider. Er beugte sich vor, als würde er einen Fleck von der Linse wischen, aber in Wirklichkeit folgte er einem schwachen Rest von Eitelkeit, der durch sein Auge erregt wurde. Er hatte an diesem Morgen zum ersten Mal seit Wochen gebadet. Seine Haare waren sauber und glänzten, und drei karmesinrote Federschuppen waren in den Zopf eingeflochten, der ihm über die Schulter hing. Seine Ersatzbrille ließ seine braunen Augen eigenartig klein erscheinen, aber zum ersten
Mal seit Wochen war das Weiß der Augen wirklich weiß, unbefleckt durch Krankheit. Drei parallel verlaufende Narben waren auf der rechten Wange zu sehen, ein Zeugnis seiner ersten Begegnung mit Charkon vor zwanzig Jahren. Trotz der Narben und Falten und den grauen Strähnen sah er ziemlich gut aus für einen Mann, der erst wenige Tage zuvor an der Schwelle des Todes gestanden hatte. Er richtete sich auf und drehte das Eulenglas so herum, dass er die Weststraße sehen konnte. Es war zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Gewöhnlich
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