Die Herrschaft der Orks
anderen und folgte den anderen durch die dunklen Fluten. Das eisige Wasser, dem der Fluss seinen Namen verdankte, umschloss ihn und tränkte Kleidung und Rüstung. Um ein Haar hätte es auch den Proviantsack erwischt, hätte Rammar ihn nicht abgenommen und hoch über den Schädel gehalten. So ging es immer tiefer hinein, der Mitte des Flusses entgegen, während Rammar das Gefühl hatte, dass es nicht nur mehr von oben, sondern auch von unten regnete. Es war kalt, es war nass und obendrein stockdunkel. Am liebsten hätte der feiste Ork seinem Unmut mit einer lauten Verwünschung Luft gemacht, aber ihm war klar, dass das so ziemlich das Dämlichste war, das er hätte tun können. Also hielt er sich zurück und ging weiter, arbeitete sich über das von Kies bedeckte Flussbett voran, während er merkte, wie die Strömung stärker wurde und an ihm zog.
Shnorsh!
Rammar zuckte zusammen.
Was war das eben gewesen?
Irgendetwas hatte ihn im Wasser gestreift, aber infolge der Dunkelheit konnte er nicht das Geringste erkennen. Ein Stück Treibholz? Verdammt, nahm dieser elende Fluss denn gar kein Ende?
Der Ork kämpfte die Panik nieder, die in ihm hochsteigen wollte wie der letzte Humpen Blutbier nach einer durchzechten Nacht. Alles, was er sah, war Balboks schmale Gestalt, die sich schemenhaft vor ihm abzeichnete, und ohne dass er es wollte, hatte er plötzlich das Gefühl, verfolgt zu werden. Wie sein Verfolger aussah, wusste er nicht, aber er war überzeugt davon, dass er ein großes gefräßiges Maul hatte und messerscharfe Zähne …
»Geht gefälligst schneller!«, zischte er. »Oder habt ihr vor, in dieser Brühe einzuschlafen?«
Rammar selbst konnte gar nicht anders, als seine Schritte zu beschleunigen. Eine beträchtliche Bugwelle vor sich her treibend, pflügte er durch das Wasser, das ihm inzwischen fast bis über die Brust reichte. Gerade wollte er sich beschweren, weil es immer noch tiefer wurde und gefährlich in Richtung Kinn stieg, als das Kiesbett sich wieder anhob. Das Wissen, die Mitte des Flusses hinter sich gelassen zu haben und sich nun endlich dem anderen Ufer zu nähern, beruhigte Rammar ein wenig und half ihm, die Panik zu besiegen. Vorerst wenigstens.
Mit jedem Schritt wurde das Wasser seichter, und Rammar wollte gerade dazu ansetzen, sich seiner mutigen Tat zu rühmen – als ihn erneut etwas berührte. Und diesmal war der dicke Ork sicher, dass es kein Treibholz gewesen war, denn für einen kurzen Moment hatte es sich um sein rechtes Bein gewickelt!
Rammar wollte schreien, eine bittere Verwünschung ausstoßen, irgendetwas von alldem – aber nicht ein einziger Ton kam ihm über die wulstigen Lippen. Die Stimme versagte ihm angesichts des Grauens, das er in diesem Moment empfand, sein einziger Gedanke war Flucht.
Den Packsack mit dem Proviant warf er in hohem Bogen von sich und begann zu rennen. Dass er dabei das Wasser aufwarf und es um ihn herum schäumte und spritzte, war ihm einerlei, er wollte nur so rasch wie möglich hinaus und viel Abstand zwischen sich und dieses – was eigentlich? – bringen. Er überholte Balbok, der ihn fragend anschaute, und schloss zu Dag auf.
»Rammar!«, zischte der. »Du wirst uns noch verraten, wenn du …«
Der Rest von dem, was er hatte sagen wollen, blieb dem Menschen im Hals stecken – denn das Wasser des Flusses begann plötzlich, sich zu bewegen, und zwar nicht nur dort, wo Rammar wie ein angestochener Eber durch das Wasser sprang, sondern so weit das Auge in der Dunkelheit reichte. Schaum kräuselte sich an der Oberfläche, Wellen entstanden, die sich kreisförmig ausbreiteten. Dann spritzte plötzlich nur wenige Armlängen von ihnen entfernt weiße Gischt in die Höhe, dicht gefolgt von etwas, das so dunkel war, dass es sich kaum von der Finsternis abhob. Der Regen jedoch, der sich daran brach und in zahllosen sich verzweigenden Rinnsalen daran herabrann, machte das Ding dennoch sichtbar.
Dag stockte der Atem.
Balbok riss den saparak aus der Rückenhalterung.
Rammar schrie aus Leibeskräften.
Es war eine riesige Scherenklaue, groß genug, um einen erwachsenen Mann in der Leibesmitte zu packen und zu zerteilen – und sie blieb nicht allein …
7.
MOR MOURASHD
Die Gefährten hatten sich von ihrem ersten Schrecken noch nicht erholt, als eine weitere Schere aus dem Wasser emporschoss, die sich unter schaurigem Knacken öffnete, schloss – und angriff.
Als Dag sah, wie sich der eine Scherenarm in seine Richtung bog, ließ er ebenfalls
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