Die Herrschaft der Orks
den Packsack fallen und wollte sein Schwert herausreißen, doch es war zu spät. Wie das weit aufgerissene Maul eines Untiers schnellte die Schere vor und packte ihn, und noch ehe er dazu kam, sich zu wehren, wurde er lotrecht aus dem Wasser gerissen.
»Bei Kurul!«, rief Balbok, als sein menschlicher Gefährte in die Höhe schnellte – Zeit, ihm zu helfen, blieb jedoch nicht, denn im nächsten Moment hatte auch der hagere Ork alle Klauen voll zu tun, sich des unheimlichen Angreifers zu erwehren. Der andere Scherenarm tastete nach ihm, und Balbok reagierte mit eisernen Reflexen.
Ohne lange nachzudenken, hieb er mit dem saparak zu, und tatsächlich gelang es ihm, den Angriff abzuwehren. Die Schere zuckte zurück, fiel wieder ins Wasser – und war im nächsten Moment im schäumenden Fluss untergetaucht. Balboks Augen verengten sich zu Schlitzen, und während er sich noch fragte, wohin das Ding verschwunden sein mochte, packte ihn auch schon etwas an seinem linken Bein. Der Schrei, den der Ork ausstieß, begann, während er noch im Wasser stand – und endete erst, als er oben in luftiger Höhe hing.
»Shnorsh!«
Rammar hatte gar nicht erst abgewartet, bis er womöglich auch noch angegriffen wurde, er rannte einfach weiter. In seinem Bemühen, möglichst rasch das Ufer zu erreichen, das er irgendwo vor sich in der Schwärze vermutete, geriet er ins Taumeln und rutschte auf den glitschigen Steinen des Flussbetts aus. Vergeblich rang er um sein Gleichgewicht. Er kippte zurück, fiel ins Wasser und versank wie ein Stein – und dieses Missgeschick rettete ihm das Leben. Denn während seine beiden Begleiter von den Scheren erfasst und aus dem Wasser gerissen wurden, kroch Rammar weiter, sich auf allen vieren voranwühlend wie ein Maulwurf – und erreichte tatsächlich das Ufer.
Als das Wasser so seicht geworden war, dass es ihm nur noch bis an die Knie reichte, sprang er wie von der Spitze eines saparak gestochen in die Höhe. Dabei beging er den Fehler, für einen Moment zurückzusehen. Der Atem stockte ihm angesichts des albtraumhaften Anblicks, der sich ihm bot.
Die Kreatur war fast vollständig aufgetaucht. Jetzt konnte man erkennen, dass sich ihr länglicher, mit stacheligen Segmenten bewehrter Körper auf dürren, spinnengleichen Beinen fortbewegte. Lange Stielaugen und dünne Fühler ragten aus etwas, das man kaum als Gesicht bezeichnen konnte – es war ein reißendes Maul, mit Reihen scharfer Zähne besetzt. Die Greifarme, an deren Enden Balbok und Dag hingen und sich wie von Sinnen gebärdeten, ragten seitlich aus dem bizarren Körper.
Einen Augenblick lang zögerte Rammar.
Wäre es nur um den Menschen gegangen, hätte es nichts zu überlegen gegeben. Aber schließlich ging es auch um Balbok, seinen leiblichen Bruder, mit dem zusammen er schon unzählige Gefahren gemeistert und überlebt hatte!
Der dicke Ork hegte nicht den geringsten Zweifel.
Er würde ihn sehr vermissen.
Keuchend fuhr er herum und rannte weiter, ließ das Wasser hinter sich und rannte die Uferböschung hinauf, die steil vor ihm anstieg – sehen konnte er in Regen und Dunkelheit so gut wie nichts. Indem er die verbliebene Klaue zu Hilfe nahm, arbeitete sich Rammar den Hang empor, atmete auf, als die Steigung wieder verflachte und er sich wieder aufrichten konnte – und einen Lidschlag später rannte er mit voller Wucht gegen etwas, das groß war und hart und das, als er mit dem Schädel dagegenstieß, ein glockenhaftes Geräusch von sich gab, von dem er nicht wusste, ob es nur durch die Windungen seines Gehirns hallte oder ob es tatsächlich zu hören war.
Der Aufprall war so heftig, dass Rammars Bewusstsein wie eine Kerze im Wind flackerte. Er prallte zurück, geriet ins Taumeln und stürzte rücklings die Böschung hinunter, die er eben erst heraufgekommen war. Mehrmals überschlug er sich und zog sich zahllose Blessuren zu. Halb bewusstlos und mit dröhnendem Schädel blieb er im Uferschlamm liegen.
Sein Bruder und Dag unterdessen waren dem Tod näher als dem Leben, denn das Monstrum war drauf und dran, sie in sein klaffendes Maul zu befördern. Wie Spielzeuge schleuderte es sie durch die Luft. Beide schlugen auf den Greifarm ein, der sie umklammert hielt – Dag, indem er seine kurze Waldläuferklinge wie einen Dolch benutzte und damit ein um das andere Mal zustach, während sich die Schere immer noch weiter um seine Leibesmitte schloss und ihn zu zerfetzen drohte; Balbok, während er kopfüber an dem Arm der Bestie hing und
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