Die Herrschaft Der Seanchane
knurrte sie. Es war schön, zur Abwechslung mal jemanden anderen unterbrechen zu können. »Elaida ist die Usurpatorin. Ich hoffe, du warst wenigstens so gescheit, dich nicht in ihre Nähe zu wagen! Du würdest nicht auf deinen eigenen zwei Beinen wieder gehen, das kann ich dir sagen! Hier sind fünf echte Aes Sedai, mich eingeschlossen, dreihundert weitere sind bei Egwene und einem Heer, dazu bereit, Elaida zu stürzen. Sieh dich doch einmal selbst an! Welche mutigen Parolen du auch immer von dir gibst, beinahe wäre es jemandem gelungen, dich zu töten, und du schleichst hier wie ein Stallbursche gekleidet herum! Welchen sichereren Ort sollte es für dich geben als bei Egwene? Selbst deine Asha'man würden es nicht wagen, gegen dreihundert Schwestern anzutreten!« O ja, und wie schön das war. Er versuchte seine Überraschung zu verbergen, aber er leistete keine gute Arbeit, so wie er sie anstarrte.
»Du wärst überrascht, was meine Asha'man wagen«, sagte er dann trocken. »Ich nehme an, Mat ist bei Egwenes Heer?« Er führte eine Hand zum Kopf und taumelte.
Es war nur ein halber Schritt, aber sie war von ihrem Stuhl hochgeschossen, bevor er sich wieder aufrichten konnte. Mühsam umarmte sie Saidar, umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und wob schleppend eine Tiefenschau um ihn herum. Sie hatte versucht, eine bessere Methode zu finden, um zu ergründen, was jemandem fehlte, bis jetzt aber erfolglos. Dennoch reichte es. Sie hatte ihn noch nicht richtig mit dem Gewebe eingehüllt, als ihr auch schon der Atem stockte. Sie wusste über die Wunde in seiner Seite Bescheid, die er in Falme davongetragen hatte und die niemals richtig geheilt war, die sich sämtlichen Heilungen, die sie kannte, widersetzt hatte und wie eine Pustel des Bösen in seinem Fleisch wucherte. Jetzt gab es eine weitere zur Hälfte verheilte Wunde über der alten und auch in ihr pulsierte das Böse. Es handelte sich jedoch um eine andere Art des Bösen, das wie ein Spiegelbild des bereits vorhandenen wirkte, aber genauso verheerend war. Und sie konnte beide nicht mit der Macht berühren. Ehrlich gesagt wollte sie es auch nicht - allein der Gedanke daran verursachte ihr eine Gänsehaut! -, aber sie versuchte es. Und etwas Unsichtbares hielt sie fern. Etwas wie ein Abwehrmechanismus. Ein Abwehrmechanismus, den sie nicht bestimmen konnte. Ein Abwehrmechanismus aus Saidin!
Das ließ sie aufhören, die Macht zu lenken, und sie trat zurück. Aber die Quelle hielt sie weiterhin umklammert; ganz egal, wie müde sie auch sein mochte, sie würde sich zum Loslassen zwingen müssen. Keine Schwester konnte an die männliche Hälfte der Macht auch nur denken, ohne einen Schauder der Furcht zu verspüren. Er sah ganz ruhig auf sie herab und das ließ sie frösteln. Er schien ein ganz anderer Mann als jener Rand al'Thor zu sein, den sie hatte aufwachsen sehen. Sie war sehr froh, dass Lan hier war, so schwer das auch zuzugeben war. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er sich nicht entspannt hatte. Er mochte mit Rand plaudern, wie es zwei Männer über Pfeifen und Ale taten, aber er hielt ihn auch für gefährlich. Und Rand sah Lan an, als wusste er dies und würde es auch akzeptieren.
»Das ist jetzt nicht wichtig«, sagte Rand und wandte sich der Tasche auf dem Tisch zu. Nynaeve wusste nicht, ob er seine Wunden oder Mats Aufenthaltsort meinte. Er holte zwei jeweils einen Fuß hohe Statuetten aus der Tasche, einen weise aussehenden, bärtigen Mann und eine gleichfalls weise aussehende, heitere Frau. Beide waren mit einem fließenden Gewand bekleidet und hielten eine durchsichtige Kristallkugel hoch. Nach der Art und Weise zu schließen, wie Rand mit ihnen umging, waren sie schwerer, als sie aussahen. »Nynaeve, ich möchte, dass du die für mich versteckst, bis ich nach ihnen schicke.« Er zögerte, eine Hand auf die Frauenfigur gelegt. »Und nach dir. Ich brauche dich, wenn ich sie benutze. Wenn wir sie benutzen. Nachdem ich mich um diese Männer gekümmert habe. Das muss zuerst erledigt werden.«
»Sie benutzen?«, fragte sie misstrauisch. Warum musste der gewaltsame Tod anderer an erster Stelle stehen? Aber das war im Augenblick kaum die Frage, auf die es ankam. »Wozu? Sind es Ter'angreale?«
Er nickte. »Hiermit kannst du das größte Sa'angreal berühren, der jemals für eine Frau erschaffen wurde. Soweit ich weiß, ist es in Tremalking vergraben, aber das ist jetzt nicht von Belang.« Seine Hand legte sich auf die Männerfigur. »Mit dem hier kann
Weitere Kostenlose Bücher