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Die Herrschaft Der Seanchane

Die Herrschaft Der Seanchane

Titel: Die Herrschaft Der Seanchane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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zweite war sie im Geheimen trainiert worden. An Tuons sechzehntem Namensgebungstag hatte sie Selucia die traditionellen Geschenke ihres Hauses überreicht, ein kleines Anwesen für die Fürsorglichkeit, die sie bewiesen hatte, ein Pardon für die Züchtigungen, die sie ausgeteilt hatte, und einen Beutel mit hundert Goldthrone für jedes Mal, das sie ihren Schützling hatte bestrafen müssen. Die Angehörigen des Blutes, die sich versammelt hatten, um Zeuge ihres ersten Auftritts als Erwachsene zu werden, waren von den vielen Beuteln voller Münzen beeindruckt gewesen; sie überstiegen bei weitem die Zahl, die die meisten Hand an ihresgleichen hätten legen können. Sie war ein... aufsässiges Kind gewesen, ganz zu schweigen von ihrer Sturheit. Und das letzte traditionelle Geschenk: das Angebot für Selucia, sich auszusuchen, wo sie als Nächstes dienen wollte. Tuon vermochte nicht zu sagen, wer erstaunter gewesen war, sie oder die versammelte Menge, als die würdevolle Frau Macht und Autorität den Rücken zuwandte und stattdessen darum bat, Tuons Ankleidedame zu werden, ihre Erste Zofe. Und natürlich weiterhin ihr Schatten, obwohl das der Öffentlichkeit verborgen blieb. Tuon war begeistert gewesen.
    »Vielleicht in kleinen Dosen, verteilt über die nächsten sechzehn Jahre«, sagte sie. Sie sah sich im Spiegel an und hielt ihr Lächeln lange genug bei, um sicherzugehen, dass ihre Worte nicht verletzten, dann ersetzte sie es durch Strenge. Sie fühlte für die Frau, die sie aufgezogen hatte, mit Sicherheit mehr Zuneigung als für ihre leibliche Mutter, die sie vor dem Eintritt in ihr Er wachsenendasein nur zweimal im Jahr gesehen hatte, oder für ihre Brüder und Schwestern. Von ihren ersten Schritten an war sie gelehrt worden, um die Gunst der Mutter zu kämpfen. Bis jetzt waren zwei von ihnen in diesem Kampf gestorben und drei hatten versucht, sie zu töten. Eine Schwester und ein Bruder waren zu Da'covale gemacht worden, und man hatte ihre Namen so entschieden aus den Chroniken gestrichen, als hätte man entdeckt, dass sie die Macht lenken konnten. Selbst jetzt war ihre Stellung noch alles andere als sicher. Ein einziger Fehltritt konnte ihren Tod bedeuten oder, noch schlimmer, dass man sie nackt auszog und auf dem öffentlichen Sklavenmarkt verkaufte. Das Licht sei gesegnet - wenn sie lächelte, sah sie noch immer wie sechzehn aus! Höchstens!
    Kichernd wandte sich Selucia ab, um die eng sitzende Haube aus goldener Spitze von ihrem rot lackierten Ständer auf dem Ankleidetisch zu holen. Die sparsam verarbeitete Spitze würde den größten Teil ihres kahl geschorenen Kopfes entblößen und sie mit den Raben-und-Rosen kennzeichnen. Vielleicht war sie ja gar nicht sei'mosiev, aber um der Corenne willen musste sie ihr Gleichgewicht wiederfinden. Sie konnte Anath, ihre Soe'feia, darum bitten, ihr eine Strafe aufzuerlegen, aber seit Neferis unerwartetem Tod waren keine zwei Jahre vergangen, und sie fühlte sich bei ihrem Ersatz noch immer nicht ganz wohl. Etwas sagte ihr, dass sie das allein tun musste. Vielleicht hatte sie ein Omen gesehen, das sie nicht beachtet hatte. Vermutlich gab es keine Ameisen auf dem Schiff, aber doch bestimmt irgendwelche Käfer.
    »Nein, Selucia«, sagte sie leise. »Einen Schleier.«
    Selucias Lippen verzogen sich missbilligend, aber sie stülpte die Haube wortlos auf ihren Ständer. Unter vier Augen, so wie jetzt, hatte sie die Erlaubnis, frei zu sprechen, aber sie wusste, was man aussprechen durfte und was nicht. Tuon hatte sie nur zweimal bestrafen müssen, und das Licht war ihr Zeuge, sie hatte es genauso sehr bedauert wie Selucia. Wortlos holte ihre Ankleidedame einen langen, durchsichtigen Schleier, wand ihn um Tuons Kopf und befestigte ihn mit einem schmalen Band aus rubinenbesetztem Goldgeflecht. Der Schleier war noch durchsichtiger als die Gewänder der Da'covale und verbarg ihr Gesicht nicht im mindesten. Aber er verbarg das, was am wichtigsten war.
    Nun legte Selucia einen langen, goldbestickten blauen Umhang auf Tuons Schultern, trat zurück und machte eine so tiefe Verbeugung, dass das Ende ihres goldblonden Zopfes den Teppich berührte. Die knienden Da'covale neigten die Gesichter bis auf den Boden. Die Zeit für Privatangelegenheiten war vorbei. Tuon verließ die Kabine allein.
    In der zweiten Kabine standen sechs Sul'dam, drei auf jeder Seite, deren Schutzbefohlene vor ihnen auf den breiten, polierten Planken knieten. Die Sul'dam nahmen bei ihrem Anblick Haltung an, so

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