Die Herrschaft Der Seanchane
»Was hat Euch nach Shadar Logoth geführt?«
»Wo sind Eure Freunde?«, fragte Mat. »Die Leute, denen Ihr zugerufen habt?« Sie standen allein in der Gasse. Die Geräusche von der Straße drangen ungebrochen zu ihnen herüber, doch es ertönten keine Rufe, dass jemand davonkommen würde, wenn sie sich nicht beeilten.
Der Alte zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, ob jemand da draußen gehört hat, was ich gerufen habe. Es ist schon schwer genug, etwas zu verstehen. Aber ich dachte, dass es den Burschen vielleicht vertreibt. Nachdem ich jedoch das hier gesehen habe...« Er zeigte auf das Loch in der Wand und lachte humorlos, was seine Zahnlücken enthüllte. »Vielleicht habt Ihr das Glück des Dunklen Königs auf Eurer Seite.«
Mat schnitt eine Grimasse. Er hatte das zu oft über sich gehört und es gefiel ihm nicht. Vor allem, weil er nicht wusste, ob es womöglich stimmte. »Vielleicht«, murmelte er. »Verzeiht mir, ich sollte mich dem Mann vorstellen, der meinen Hals gerettet hat. Ich bin Mat Cauthon. Seid Ehr neu in Ebou Dar?« Das auf den Rücken geschnallte Bündel verlieh ihm das Aussehen eines Mannes auf der Reise. »Ihr werdet es schwer haben, einen Platz zum Schlafen zu finden.« Er nahm die knorrige Hand, die der andere ihm reichte, mit Vorsicht. Sie bestand nur aus Höckern, als wäre jeder Knochen zur gleichen Zeit gebrochen worden und schlecht geheilt. Aber sein Griff war kräftig.
»Ich bin Noal Charin, Mat Cauthon. Nein, ich bin schon seit einiger Zeit hier. Aber meine Schlafstelle auf dem Dachboden der Goldenen Ente wird jetzt von einem fetten illianischen Ölhändler besetzt, der heute Morgen wegen einem seanchanischen Offizier aus seinem Zimmer geworfen wurde. Ich dachte, ich würde in der Gasse einen Platz zum Schlafen finden.« Er rieb sich mit einem verkrümmten Finger die große Nase und kicherte, als hätte es keine Bedeutung, in einer Gasse schlafen zu müssen. »Es wäre nicht das erste Mal, dass ich unbequem schlafen muss, selbst in einer Stadt.«
»Ich glaube, da weiß ich etwas Besseres«, sagte Mat, aber der Rest von dem, was er hatte sagen wollen, erstarb auf seiner Zunge. Die Würfel wirbelten noch immer in seinem Kopf umher. Er hatte es geschafft, sie zu vergessen, während der Gholam ihn zu töten versuchte, aber sie waren noch immer in Bewegung, warteten noch immer darauf zu fallen. Wenn sie ihn vor etwas Schlimmerem als dem Gholam warnen wollten, dann wollte er es nicht erfahren. Aber das würde er. Da bestand nicht der geringste Zweifel. Er würde es erfahren, wenn es zu spät war.
KAPITEL 8
Rosafarbene Schleifen
Kalte Windböen wehten über den Mol Hara, hoben Mats Umhang und drohten den an seiner Kleidung klebenden Schlamm zu gefrieren, als Noal und er aus der Gasse eilten. Die Sonne hing zur Hälfte verborgen hinter den Dachrändern und die Schatten wurden zusehends länger. Mat musste den Umhang gewähren lassen, denn mit der einen Hand hielt er den Stab und mit der anderen in der Manteltasche die zerrissene Schnur des Fuchskopfes, dazu bereit, sie herauszureißen, falls es erforderlich war. Sein Körper schmerzte von Kopf bis Fuß, die klappernden Würfel in seinem Kopf verkündeten ihre Warnung, doch er nahm beides kaum wahr. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, alle Richtungen auf einmal im Auge zu behalten und sich dabei zu fragen, durch ein wie kleines Loch sich das Ding wohl zwängen konnte. Er ertappte sich dabei, wie er die Spalten zwischen den Pflastersteinen des Platzes voller Unbehagen betrachtete. Allerdings erschien es doch eher unwahrscheinlich, dass ihn das Ungeheuer in aller Öffentlichkeit angriff.
Von den umgebenden Straßen drang ein beständiger Lärm heran, aber hier rannte bloß ein Hund mit hervortretenden Rippen an dem Brunnen mit der Statue der vor langer Zeit verstorbenen Königin Nariene vorbei. Manche behaupteten, ihre ausgestreckte Hand zeige auf die Beute des Ozeans, die Ebou Dar reich gemacht hatte, während andere es als Warnung vor kommenden Gefahren interpretierten. Es gab auch Leute, die behaupteten, ihre Nachfolgerin hätte die Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken wollen, dass lediglich eine Brust der Statue unbedeckt war und damit öffentlich verkündet wurde, dass Nariene nur leidlich ehrlich gewesen war.
Zu einer anderen Zeit wäre der Mol Hara im Winter selbst zu dieser Stunde voller spazierender Liebespärchen und Straßenhändler und von Hoffnung erfüllter Bettler gewesen, aber die Bettler hatten seit der
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