Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
sich von seinen Weggefährten. Sein Ruhm schützte ihn vor den Folgen seiner Alleingänge: 1890 verglich der Dramatiker Anton Tschechow Repins Stellung in der Malerei sogar mit der des großen Leo Tolstoi in der Literatur.
1891 verließ Repin die »Wanderer«. Als er 1897 wieder der Vereinigung beitrat, war er Professor der Akademie der Künste: der Institution, die seine Künstlerfreunde ablehnten. Ein Jahr später wurde er sogar zum Rektor befördert – mit ausdrücklicher Billigung des Zaren Alexander III. , der mit dem »Wanderer« an der Spitze der Akademie seine Russifizierungspolitik stärken wollte.
»Repin saß zwischen allen Stühlen«, urteilt die Bamberger Kunsthistorikerin Ada Raev. Den Vorwurf des Opportunismus hält sie jedoch für falsch. Von Anfang an stand der Maler zwischen den Polen: zwischen russischem Kollektivismus und westlichem Individualismus, Gebundenheit und Freiheit. Repins Zerrissenheit zeigte sich exemplarisch in seiner Beziehung zu Leo Tolstoi, mit dem er 30 Jahre lang befreundet war. Repin bekannte später, dass er dem Älteren in dessen hypnotisierender Gegenwart nicht zu widersprechen wagte. Erst hinterher, im Geiste, habe er Dispute mit ihm geführt.
»Mal denke ich, dass ich recht habe, mal scheint es mir, dass seine Thesen unvergleichlich tiefer sind. Vor allem«, räsonierte Repin, »kann ich mich nicht mit seiner Verneinung der Kultur anfreunden.« Der Schriftsteller erschien ihm »erbärmlich«, wenn dieser sich am Hakenpflug abplagte. So wie Tolstoi in die tristen Hütten der Bauern hinabzusteigen und zu verkünden: »Ich bin mit euch«, hielt Repin gar für »Heuchelei«. Trotzdem schloss sich der sensible Veganer 1908 Tolstois Protest gegen die Todesstrafe an. Drei Jahre zuvor hatten ihn die Geschehnisse am »Blutigen Sonntag« tief entsetzt. Repin bannte auf Leinwand, wie die Demonstranten in St. Petersburg im Januar 1905 auf dem Weg zum Zaren erschossen wurden.
Zur Ironie seines Lebens gehört, dass der »tief nationale« Künstler (Stassow) 1930 als Bürger Finnlands starb. 1918 schlossen die Bolschewiki die Grenze zwischen Russland und dem gerade unabhängig gewordenen Nachbarland. Westlich dieser Linie, in Kuokkala, stand sein Landhaus mit seinem Atelier. Repin litt unter der Isolation. Sein letztes großes Werk, »Golgatha«, zeigt streunende Hunde am Fuße der Gekreuzigten, die sich gegenseitig ihr Fressen abjagen. Sie drücken die Not des Hunger- und Bürgerkriegsjahres 1920 aus.
Trotz seines unfreiwilligen Exilantendaseins wehrte er sich standhaft gegen die von Stalin unterstützten Lockrufe der »Künstler des revolutionären Russlands«, er möge doch heimkehren. Zwar konnte er nicht verhindern, dass die Sowjets ihn für ihre Ideologie in Anspruch nahmen – als Vorboten des Sozialistischen Realismus. Doch Repin blieb sich treu. »Ich liebe die Kunst mehr als alle Tugenden«, gestand er einmal, »mehr als die Menschen, die Freunde und alles Glück. Ich liebe sie insgeheim, eifersüchtig wie ein alter Säufer, unheilbar.«
Wehmütige Klangkunst
Der Charakter des Komponisten Peter Tschaikowski war schwer durchschaubar, seine Musik aber geht umso mehr ans Herz.
Von Johannes Saltzwedel
Wie russisch war er überhaupt? Haben skeptische Zeitgenossen recht, etwa das »Mächtige Häuflein« von fünf Komponisten um Milij Balakirew, das Peter Tschaikowskis Stil als traurig verwestlicht bekrittelte? Oder war er mit seiner eingängigen Verbindung von mitteleuropäischen Formen – Oper, Symphonie, Sonate, Variation – und heimischem Liedgut im Gegenteil »von uns allen der russischste«, wie der spätere Stil-Jongleur Igor Strawinski ihn rühmte? Schon zu Lebzeiten von Peter Iljitsch Tschaikowski (1840 bis 1893) haben Kritiker seine melodiöse Tonsprache einzuordnen versucht. Seither stehen sich zwei Lager gegenüber: Während etliche die verblüffende Phantasie loben, monieren die anderen mangelnde Architektur und eine Gefühligkeit, die den einflussreichen Kritiker und Brahms-Freund Eduard Hanslick gar auf die »schauerliche Idee« brachte, »ob es nicht auch Musikstücke geben könne, die man stinken hört«.
Dass sogar Fachleute derart uneins sind, ist nicht bloß Geschmackssache, sondern geradezu symptomatisch für das Zwitterwesen russischen Kunstwollens im 19. Jahrhundert – eine zuweilen prekäre Mischung, wie sie auch die Existenz Tschaikowskis geprägt hat. Der Sohn eines Bergbauingenieurs und Eisenhüttendirektors hört schon früh italienische
Weitere Kostenlose Bücher