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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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Opernweisen, freilich nur aus einem »Orchestrion« genannten Musikautomaten. Dass der äußerst sensible, bisweilen depressive kleine Peter das Klavier für sich entdeckt, macht seiner Erzieherin Angst. Die musikalische Mutter stirbt, als er gerade 14 ist. Da weiterer Ansporn fehlt, wird der Sohn brav Jurist und 1859 Beamter im Justizministerium.
    Allerdings lernt der junge Tschaikowski, dem die zaristische Bürokratie kein großes Dienstpensum auferlegt, in St. Petersburg auch das flotte Leben genießen. Der Mozart-Liebhaber nimmt Klavierstunden, lässt sich von einem Italiener die Regeln des Kunstgesangs beibringen und besucht fleißig Theater und Oper. Allmählich wird sein Hang zur Musik übermächtig. Im Herbst 1862 beginnt er am Petersburger Konservatorium zu studieren; 1866 ist er selbst Dozent für Theorie an der eben gegründeten Moskauer Musikhochschule. Seine erste Symphonie (»Winterträume«), die damals entsteht, zeigt schon fast alle Merkmale späterer Werke: Die Sätze liefern Stimmungsbilder, in den eingängigen Melodien klingt Folklore durch, aber das Instrumentarium bleibt mitteleuropäisch-klassisch. Stark inspiriert von den Werken des russischen Musik-Patriarchen Michail Glinka, etwa dessen volkstümelnder Oper »Ein Leben für den Zaren« (1836), sucht Tschaikowski nach natürlich-gefälliger Eigenständigkeit.
    Ins Rampenlicht treten mag der scheue, verwöhnte Klangerfinder allerdings kaum: So gern er Feste besucht und mit Freunden scherzt, die Öffentlichkeit ist ihm nicht geheuer. Seit einem misslungenen Dirigierversuch meidet er das Pult. Seine Homosexualität muss hinter der Maske des eleganten Gentleman abgeschirmt bleiben. Als er 1877 doch Verlobung und Heirat mit einer Verehrerin arrangiert, scheitert die Verbindung nach katastrophalen drei Monaten. Nervenanfälle werfen den Komponisten eine Weile aus der Bahn. Die ist bisher erfreulich geradlinig verlaufen: Gute Kontakte zu Gönnern, einem Verleger und einem wichtigen Kritiker haben Tschaikowski und seine Werke bekannt gemacht; nebenher schreibt er Musikkritiken. So fährt er 1876 zur ersten Gesamtaufführung von Richard Wagners »Ring des Nibelungen« nach Bayreuth, den er halb achtungsvoll rezensiert, privat indessen als Qual-Orgie erlebt: Eine »unendliche, langweilige Faselei« sei das, bei »Abwesenheit jeglicher Poesie«. Energische Modernität bleibt ihm zuwider, so selbstkritisch er die eigenen Versuche im Opernfach – damals schon vier – beurteilt.
    Ende 1876 hat sich ereignet, was bis heute als mäzenatisches Wunder gilt: Die reiche Nadeschda von Meck, Witwe eines baltendeutschen Eisenbahnmagnaten, bietet ihre finanzielle Hilfe an. Bald wird daraus eine Jahresrente von stattlichen 6000 Rubeln, die dem Komponisten ein bequemes, ja luxuriöses Leben erlaubt. Spürbar befreit komponiert Tschaikowski in neun Monaten seine bis heute erfolgreichste Oper: »Eugen Onegin«, ein tragisches Sittenbild in »lyrischen Szenen« nach dem Versroman Alexander Puschkins.
    Wie viele seiner Künstlerkollegen ist er gern und ausgiebig in Westeuropa unterwegs, nun noch häufiger als zuvor. Der bedeutende Dirigent Hans von Bülow macht sich für seine Werke stark. Mit einer bombastischen, sogar von Kanonendonner untermalten Festouvertüre »1812«, die er 1880 zur Einweihung der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale schreibt, huldigt Tschaikowski dem patriotischen Stolz: Die Niederlage Napoleons spiegelt sich darin, dass die Marseillaise von russischen Hymnen und Chorälen überstrahlt wird, wie einst Beethoven den Sieg Wellingtons bei Waterloo als Klangschlacht feierte. Zaristisch kann man die Inszenierung dennoch kaum nennen. Wohl gewährt Alexander III . dem Komponisten 1888 eine Pension auf Lebenszeit, aber die gilt hauptsächlich dem jetzt europaweit anerkannten Tonpoeten, der sich auch als Organisator und Dirigent erfolgreich engagiert. Tschaikowskis spätere Werke dagegen klingen oft eher versonnen; vor allem seine Kammermusik zeigt neben tänzerisch-volkstümlichen Motiven fast immer einen Hauch von Wehmut.
    Nahe der Kreisstadt Klin, 90 Kilometer nordwestlich von Moskau, ist er nun ansässig – der letzte seiner dortigen Wohnsitze beherbergt seit 1894 ein Museum. Von hier aus reist Tschaikowski weniger häufig, dafür mitunter weit: 1891 zum Beispiel auf Kurztournee in die USA. Dass seine Gönnerin und Briefvertraute Nadeschda von Meck, die er aus Ängstlichkeit nie gesprochen, nur einmal kurz gesehen hat, ihm 1890 in einem Anfall von

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