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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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Verarmungswahn die Unterstützung streicht, kann der mittlerweile Gutsituierte verschmerzen.
    Längst sind seine Orchesterwerke weltweit gefragt und seine Ballette »Schwanensee«, »Dornröschen« und »Der Nußknacker« sichere Erfolge. Er selbst jedoch, der den Weg zum Ruhm nur durch schwere Depressionsphasen gehen konnte, hat sich für das Ende ein Bekenntnis aufgespart. In seiner letzten, sechsten Symphonie, deren Uraufführung er keine zwei Wochen vor seinem Tod noch selbst leitet, erklingt ein Marschthema, das erst zart, dann immer wuchtiger instrumentiert ist. Aber so sehr es anfangs danach klingt, die Triumphhymne bildet nicht den Schluss des Werkes. Als letzter Satz erklingt Musik von so abgrundtiefer Resignation und unerfüllter Sehnsucht, dass sie wie der Gesang eines Unerlösten den lebenslangen Zwiespalt, das Versteckspiel des Menschen Tschaikowski hörbar macht. Mit immer tieferen, fahleren Streichernoten klingt so ein Komponistendasein aus, das bei aller privaten Eigenart doch bezeichnend war für sein Land, seine Epoche und für jene Abgründigkeit der Seele, die bis heute als Kennzeichen des russischen Gemüts gilt.

Verräter Ihrer Majestät
    In der Zarenzeit entstand Russlands
erster Geheimdienst, der sich auf Spitzel und
Zuträger stützte. Einige Agenten arbeiteten
auch für die Revolution.
    Von Benjamin Bidder
    Z ar Nikolai II. muss sich wie ein Gefangener im eigenen Reich fühlen, als er Anfang September 1911 Kiew erreicht. Die letzten Kilometer der Wegstrecke sichern Armeeposten im Abstand von fünf Metern. In der Stadt durchleuchten die Behörden seit Tagen Bewohner, die nahe der Strecke wohnen, die der Zar mit seinem Gefolge passieren soll. Die Sicherheitsabteilung, die Geheimpolizei des Monarchen, fürchtet um Nikolais Leben.
    Der Kaiser reist nach Kiew, um ein Denkmal für seinen Großvater zu enthüllen. Alexander II. , wegen der Abschaffung der Leibeigenschaft auch »Befreier-Zar« genannt, war 1881 auf dem Weg zum Petersburger Winterpalast von einer Bombe der Untergrundorganisation »Narodnaja Wolja« (»Volkswille«) zerfetzt worden. 30 Jahre später trachten Terrorzellen von Sozialisten und Anarchisten danach, auch seinen Enkel Nikolai zu töten.
    Vorbeugend verhaften die Geheimpolizisten in Kiew 33 mutmaßliche Mitglieder der Partei der Sozialrevolutionäre. Die Sorge der Geheimpolizei, im Volksmund als »Ochrana« bekannt, ist berechtigt. Am 8. September nehmen Polizisten einen Verdächtigen fest. Der Mann zieht jedoch – obschon bereits in Gewahrsam – einen Revolver und tötet sich selbst. Am Mittag versammeln sich die besorgten Polizeichefs der Stadt zum Essen. Dazu laden sie auch einen besonderen Gast: den Top-Agenten Dmitrij Bogrow, alias Alenskij.
    Der junge Spross einer wohlhabenden jüdischen Familie hatte sich während seines Jurastudiums in Deutschland Anarchisten wie Pjotr Kropotkin und Max Stirner zugewandt. Wieder im Zarenreich aber diente sich Bogrow der Ochrana als Spitzel an. Für bis zu 150 Rubel im Monat lieferte er über Jahre Gesinnungsgenossen ans Messer und hasste doch das Zarenregime.
    Seinen Führungsleuten aber blieb die Doppelbödigkeit ihres Konfidenten verborgen. Vor dem Zarenbesuch in Kiew warnte Bogrow sie vor zwei fiktiven Revolutionären. Dann bat er selbst um ein Ticket für die Theateraufführung, an der auch der Imperator und der wenige Tage zuvor zurückgetretene Premierminister Pjotr Stolypin teilnehmen sollten.
    Stolypin hatte das Land mit eiserner Hand reformieren wollen. Um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, hatte er in einigen Provinzen das Kriegsrecht verhängt. Selbst als sich Hinweise mehrten, dass Ochrana-Agenten in Attentate auf Minister und hochrangige Beamte verwickelt sein könnten, deckte der in Dresden geborene Stolypin die Geheimpolizei.
    Am 18. September 1911 gegen 22 Uhr nähert sich ihm in der Kiewer Oper ein junger Mann im Frack. Dmitrij Bogrow trägt, verdeckt unter einem Programmheft, eine Browning-Pistole. Er feuert zweimal. Ein Schuss trifft Stolypin in der Hand, der andere verletzt Herz und Leber. Der tödlich getroffene Premier sinkt auf einen Sitz und sagt: »Ich bin glücklich, für den Zaren zu sterben.«
    Stolypins Tod steht symptomatisch für das Versagen der zaristischen Staatssicherheit. Die politische Polizei wurde im 19. Jahrhundert als Reaktion auf umstürzlerische Umtriebe in dem Riesenreich geschaffen. Sie begründete die Tradition der mächtigen, schwer zu kontrollierenden

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