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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klußmann
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heutigen Russland monieren vaterländische Blätter wie »Sowerschenno sekretno« (»Streng geheim«), mit dem »Verkauf seines Territoriums« habe Russland 1867 für eine Handvoll Dollar einen »Akt der nationalen Schande« unterzeichnet.

Meister der Seele
    Der Maler Ilja Repin war der
überragende Protagonist der sozialkritischen
Künstlergruppe »Wanderer«. Er porträtierte
das Russland seiner Zeit.
    Von Annette Bruhns
    S chon sein Frühwerk gilt als genial. Die ersten Skizzen der Männer, die am Ufer der Wolga Frachtkähne ziehen, zeichnete der 26-Jährige bei einer Studienreise 1870. »Mein Gott«, schrieb der Maler später, »warum waren sie so schmutzig, so zerlumpt? Die Oberkörper, die sich in den Gurt legen, sind wund gerieben, haben sich entblößt und sind verbrannt von der Sonnenglut. Die Gesichter sind finster.« Ihm brachte das Werk internationale Anerkennung. Auf der Weltausstellung in Wien 1873 gewann sein Bild »Die Wolgatreidler« eine Bronzemedaille. Wie besessen hatte Ilja Repin an dem Ölgemälde gearbeitet; jeder abgebildete Kopf war ein naturgetreues Porträt, zu dem er die Lebensgeschichte kannte.
    Zeitgleich zu den »Wolgatreidlern« malte er als Abschlusswerk seines Studiums das Historienbild »Die Auferweckung der Tochter des Jairus«. Das detailverliebte, souverän mit Licht und Schatten spielende Gemälde wurde als bestes Wettbewerbsbild in der Geschichte der Petersburger Akademie der Künste gefeiert. Mit nicht einmal 30 Jahren stand dem Kosakenabkömmling die Welt offen. Repin kam aus bescheidenen Verhältnissen, der Vater war Militärsiedler im ukrainischen Tschugujew, die Mutter brachte sich selbst und den Kindern das Lesen bei. Den Umzug nach St. Petersburg hatte sich das Ausnahmetalent mit Ikonenmalerei verdient.
    Die Akademie belohnte ihren neuen Star mit einem Auslandsstipendium. In Frankreich lernte Repin die Impressionisten kennen, Frau und Töchter malte er bald in Sommeridyllen à la Edouard Manet, den er auch persönlich kennenlernte. Doch sein Gemälde der urbanen Boheme, »Pariser Café«, fiel 1875 im Pariser Salon durch. Erst kürzlich, im Juni 2011, gelangte das Bild zu Ruhm: Mit über fünf Millionen Euro erzielte es das Höchstgebot aller Russland-Auktionen des Londoner Traditionshauses Christie’s. Für Russland erwies sich Repins Rückschlag als Glücksfall. Tief enttäuscht kehrte der Künstler aus Paris zurück und verzog sich für ein Jahr in seine Heimatprovinz in der Ukraine. Unter dem Einfluss seines Freundes Wladimir Stassow, einem einflussreichen Kunstkritiker, fand er dort Motive, die dem Zeitgeist entsprachen: die Momentaufnahme eines politischen Häftlings auf seinem Weg in die Verbannung (»Unter Bewachung«) oder den Dorftanz nach getaner Arbeit (»Bis zum Morgen«).
    1878 trat Repin den »Peredwischniki« bei, den »Wanderern« von der »Genossenschaft für Wanderausstellungen«. Kunst sollte nicht mehr nur von Spezialisten beurteilt werden, sondern vom Volk. »Der Richter ist jetzt der Bauer, und deshalb muss man seine Interessen gestalten«, formulierte Repin das Credo der »Wanderer«. Er avancierte zum bedeutendsten Vertreter der Realisten, die sich mehr der Wahrheit als der Ästhetik verpflichtet fühlten.
    Repin gab nicht einmal den ästhetischen Wünschen seines Gönners, Pawel Tretjakow, nach. Der Sammler hatte ihn um Verschönerung der allzu menschlichen Gesichter der »Kreuzprozession im Gouvernement Kursk« (1883) gebeten. »Schauen Sie in die Masse, gleich wohin«, hielt Repin ihm entgegen, »wie viele schöne Gesichter sehen Sie?« Und so blieb sogar die abgebildete Ikonenträgerin feist und bigott. Für die »vielleicht stärkste Seite seiner Kunst« hält heute eine Kuratorin der Moskauer Tretjakow-Galerie, Galina Tschurak, Repins Porträts. Fast alle Großen seiner Zeit saßen Ilja Jefimowitsch Modell: Tolstoi, Gorki, Mussorgski, sogar ausländische Stars wie Eleonora Duse. Er malte auch Adlige wie die Baronin Warwara Ixkul von Hildenbandt: hochgewachsen, elegant, mit hartem Blick. »Sie ist leer, ungeachtet des angenehmen Äußeren«, vertraute der Maler seinem Freund Tolstoi an.
    Es sei »wirklich schrecklich«, unter Repins »Pinsel zu kommen«, spottete der Philosoph Wassili Rosanow – nicht ohne Hochachtung. »Wen er ›abgetastet‹ hat, der kann seine Seele nicht verbergen. Seine Bilder sind großartige Oper und geheime Untersuchung darüber, was in Russland war und ist.« Je älter Repin wurde, desto mehr emanzipierte er

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