Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
Gemüt zum Schweigen bringt, denn nur so kann sich das Seelenherz, der Sonnenlotos, auf dessen Grund unerweckt die All-Liebe ruht, entfalten. Du siehst, Bruderlieb, fortan musst du dich auch im inneren Schweigen, einer bereits höheren Priestertugend, üben.“
Nach dieser einrucksvollen Darlegung blickte Ethne Waldur so liebevoll an, dass er nicht anders konnte, als seine Lider zu senken. Darauf trat sie neben ihn, legte ihre rechte Hand auf seine Brust und die linke in gleicher Höhe auf den Rücken, solange, bis sich vor seiner Brust ein ätherisches Feuerrad zu drehen begann.
„Erschrick nicht“, hörte er sie sagen, „ich habe dir ein Kraftzentrum deines Ätherkörpers belebt, aufdass es deiner Seele kosmische Energie überträgt.“
Anschließend nannte und erklärte sie ihm für seine künftigen Meditationen eine neue Heilsrune, ein neues Mantram.
W aldurs neue Tagesarbeit bestand nun darin, zusammen mit Kunigund, einer Priesterschülerin und ebenfalls Schweigekandidatin, den licht mit Bäumen bewachsenen Residenzdingplatz mit all seinen Holzstufen, Podesten und Kultfiguren zu reinigen.
War er zunächst erleichtert, nicht mehr von den Köchen herumgehetzt zu werden, so hatte er doch bald erkannt, dass die Hinterlist des hiesigen, kleinwüchsigen, bissigen Dingplatzwärters weitaus aufreizender war. Ständig fühlten sich Kunigund und Waldur von ihm belauert, denn wo immer sie zu fegen, rechen oder wischen hatten, tauchte er überraschend auf. Mal, um keifend ihre Arbeiten zu kritisieren - Waldurs oft zu Recht - und mal, um angeblich ihr Schweigen zu überwachen. Mitunter aber auch, um Waldur kundzutun, welche Genugtuung es ihm bereite, hier auf dem Dingplatz einen Adelsrat in gebeugter Haltung zu sehen. Sich bei alledem in Gleichmut zu üben, fiel Waldur schwer. Besonders, wenn er tatenlos mit ansehen musste, wie dieser Giftzwerg Kunigund, die nun wirklich jedes Blättchen von den Podesten auflas und die Kultfiguren bis in die Ritzen säuberte, schikanierte.
Augen und Ohren verschließen sollte in solchen Momenten mein Rezept sein, meinte Waldur, stutzte dann aber - wirklich? Nein, das wäre Gleichgültigkeit, mehr noch - Feigheit. Ich habe mich den Situationen zu stellen, meine Gefühle zu bemeistern, sie umzuwandeln, nur so kann ich Gleichmut erlangen.
Wie friedvoll dagegen die Abende, wenn er sich im Tempelgarten vor einem kleinen Feuer mit seiner Schnitzerei beschäftige. Die durch sein bereits zehnwöchiges Schweigen und die neuen Meditationen erworbene Feinenergie veredelte gleichsam sein Schnitzwerk. Diesmal wurde alles bedeutend subtiler, auch aussagestärker, und die sich aufwindende Heilsschlange, an der er gerade mit Hingabe feilte, bekam Seelenleben. Jetzt hielt er das Werk mit gestrecktem Arm vor sich und betrachte es mit kritischem Blick. Doch, das wird was, war er sicher, schade nur, dass Meister Erik es nicht begutachten kann.
Waldur hatte Hermod nicht kommen hören, vernahm nun aber seine Aufforderung: „Zeig mal her, bitte.“
Er reichte ihm beide Hölzer, wonach Hermod mit ihnen unter ein Fackellicht trat. Er betrachtete die Arbeiten sehr genau. Doch dann schüttelte er, wie das letzte Mal, seinen silberblonden Kopf - und warf die Scheite vor Waldurs entsetzten Augen ins Feuer.
„Hole dir morgen neues Holz“, äußerte Hermod nur beim Gehen.
Vor Empörung hochgesprungen rief, nein, schrie Waldur ihm innerlich nach - Werde ich nicht! - wobei er mit der Schuhspitze ins Feuer trat, dass die Funken aufspritzen. Kunstbanause! Unmensch!, wütete er - ich weiß, dass du mich hörst! Meine Schweigezeit ist hiermit beendet, b e e n d e t !
Hermod ignorierte sein Begehr, tat, als habe er ihn nicht vernommen.
L angsam hatte sich dann Waldurs Erregung zur Nacht hin gelegt. Wie er jetzt aber auf seinem Frühstückshocker neue rohe Schnitzhölzer liegen sah, wallte sie erneut auf, so heftig, dass er nach den Hölzern griff, um sie aus dem Fenster zu werfen.
„Nicht“, hielt ihn eine Priesterin davon ab, wobei sie ihm die Hölzer energisch aus den Händen nahm. „Beruhige dich, Waldur“, redet sie auf ihn ein, „wir haben seit gestern Abend Vollmond. Halte noch etwas durch, wenn nachher die Sonne den Zenit erreicht, hast du es überstanden.“
Der Vollmond, fiel ihm ein, ja sicher, Ethne hat mich nicht umsonst vor seinem Einfluss gewarnt.
Wenig später setzte er auf dem Dingplatz seine Bewährung neuerlich aufs Spiel, doch diesmal, um die von Kunigund zu retten. Auf des Wärters Anweisung
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