Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
dem Erlebten und Gehörten schwindelt.
Wohl deshalb fordert mich Werdandi jetzt auf: „Lass es vorab genug sein. Kehre zurück in den Midgard und gönne dir zunächst ausgiebig Ruhe. Danach wirst du weitersehen.“
Darauf verblasst der Kausalglanz um mich her, dennoch vernehme ich weiterhin Werdanis Stimme, wenn auch von fern und immer ferner herkommend: „Befreie dich von Eigensinn, Waldur - von Eigensinn . . “
Währenddessen gleite ich, wie von sanfter Hand gelenkt, durch das Mental- und anschließend durch das Nifelreich wieder zurück in den Midgard.
„L unas Labe, Trost im Traum . . “, dringt jetzt, statt Werdandis Stimme, wieder die des Stadtsängers an mein Ohr.
Noch immer nicht Mitternacht hier? Nein, während meiner Vision ist keine Zeit verstrichen, denn außerhalb des Midgards herrscht ewige Gegenwart - Werdandi. Und hier bin ich wieder eingezwängt in die irdischen Gesetze: Zeit, Raum, Schwerkraft - und Schmerzen. Wie lange noch? Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, die Empfehlungen der Norne zu erfüllen. Aber es zählt ja jeder einzelne Tag, jede Stunde.
Ich bin müde. Trotz der vielen neuen Eindrücke bin ich unsagbar müde. Morgen werde ich alles überdenken - jetzt erstmal schlafen . ..
N achdem Waldur am nächsten Morgen erfrischt aufgewacht war, ließ er sein Suavaleben neuerlich und in aller Ruhe vor sich ablaufen.
Jetzt konnte er klar über alles nachdenken, erfreulicherweise auch über Werdandis Erklärungen. Und wie viel ging ihm dabei auf. Auch über Hilibrand, damals Frodi, endlich begriff er, weshalb Hilibrand so früh und noch dazu durch Chlodwig sein Leben hatte verlieren müssen. Warum aber sind auch Tante Astera und Vater durch Chlodwig umgekommen?, überlegte er, und fand sogleich die Antwort - dem lag anderes zugrunde, ich darf nicht alles auf dieses eine Leben zurückführen. Jedenfalls hat mich Isolf geliebt, erkannte Waldur erfreut, er hat mich wirklich geliebt. Als er am Ende jedoch erfuhr, dass ich mitverantwortlich für seinen Unfall war, kam der Hass. Der stand ihm deutlich in seinen sterbenden Augen, trotz seiner Liebesbeteuerung, die er mit dem letzten Atem ausgehaucht hat. Und meine damalige Schuld muss ich im heutigen Leben durch einen ebenfalls frühzeitigen Tod, von Chlodwig verursacht, begleichen. Die züngelnde Rune in meiner Aura hat in Chlodwigs Unterbewusstsein Hass gegen mich erweckt und in mir selbst den blinden Drang, stets alle Fehler an Chlodwig zu bagatellisieren.
Waldur war dankbar, alldies endlich zu begreifen.
Seine Tür öffnete sich vorsichtig und Hermod schob seinen silberblonden Kopf durch den Spalt, um sich zu erkundigen: „Endlich ausgeschlafen?“
„So eben“, gab Waldur knapp aber lächelnd zurück.
Darauf trat Hermod an Waldurs Bett und nach ihm betrat ein neuer junger Pfleger das Zimmer, kleppernd einen schüsselbeladenen Waschtisch hinter sich herziehend. Wie ernüchternd, dachte Waldur, aber gut so, dadurch finde ich mich wieder endgültig ein ins Hier und Heute.
„Guten Morgen!“, grüßte Hermod jetzt fröhlich und fragte Waldur: „Willst du dich heute überhaupt nicht mehr frisch machen lassen?“
„Guten Morgen!“, erwiderte Waldur den Gruß, stütze sich auf den Unterarmen etwas hoch und scherzte, wie häufig in solchen Situationen: „Zuvor will ich frühstücken, meine Herren. Danach sattle ich mir erst noch einen Hengst und unternehme einen Aufwachritt, geht das klar?“
Der junge neue Pfleger sah ihn verstört an, Hermod aber trat einen Schritt zurück, deutete zur Tür und forderte Waldur auf: „Na bitte doch, dann kleide dich an, frühstücke und gehe danach zum Stall.“
Was sollte Waldur darauf antworten. „Ich gebe mich geschlagen, du spitzfindiger Druide“, lachte er, „dein neuer Toilettenmeister kann beginnen. Aber waschen genügt heute, ich habe beschlossen, mir einen Bart wachsen zu lassen.“
Während Hermod Waldur half, sich aufzusetzen und das Hemd über den Kopf zu ziehen, sagte er verschmitzt: „Keine schlechte Idee, Waldur, vielleicht findet Gudrun ja deine Bartstoppeln attraktiv.“
„Gudrun? Wieso Gudrun?“
„Da, guck an“, schmunzelte Hermod, „wie ihn das wachrüttelt. Ja, Waldur, Gudrun ist hier, bereits seit einer Stunde.“
„Sag, dass das wahr ist“, bat Waldur, halb noch ungläubig, halb schon erwartungsfreudig, worauf Hermod wiederholte:
„Es stimmt, mein Lieber, sie ist hier im Haus und wird dich nach deinem Frühstück begrüßen.“
Waldur konnte es kaum fassen - die Gudrun.
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