Die Hexe aus Burgund: Historischer Roman (German Edition)
Blutsbruder?“
„Ja, Chlodwig“, ging Waldur vorsichtig darauf ein, „kann ich bestätigen, hast du immer gesagt.“
Basina und Childerich schmunzelten in sich hinein, sie konnten sich denken, was in dem ehrgeizigen roten Stachelkopf ihres Sohnes jetzt vor sich ging und auf der Reise noch vor sich gehen wird.
Eine Zeitlang wartete der Merowinger noch, dann erläuterte er den Jünglingen ihre bevorstehenden Reisen, wobei in Chlodwigs Gesicht wieder Farbe geriet. Chlodwig sollte, wie auf einer Landkarte rot eingezeichnet, quer rüber nach Osten zu den Slawen reiten, und Waldur stand eine Rundreise durch Gallien bevor, bis hinab ins Westgotenreich und wieder zurück. Spätestens am Tag des Sommerbeginns müssten dann beide in Frowang erscheinen, sagte er ihnen, wo sie Ethne ihre von allen Gastgebern abgezeichnete Besucherliste vorzulegen hätten.
„Hier, eure Landkarten und Besucherlisten“, schloss der Merowinger nun ab und überreichte jedem seine zwei Pergamentrollen, wobei er die Burschen abermals ermahnte: „Und vergesst nie, dass es auf dieser Reise auf ein tadelloses Junkerbenehmen ankommt.“
„Das bedenken wir, Majestät.“ „Naturellement, papa“, versicherten ihm die Beiden und wollten schon neugierig ihre Besucherlisten aufrollen.
Doch Basina schickte sie auf ihre Stube, wo jeder für sich alleine seine Liste und Landkarte studieren soll.
V erdrießlich zockelte der rassige, schwarzbraune Junghengst Scalla, den der Merowinger Waldur zum Abschied geschenkt hatte, über den ausgedörrten Feldweg.‚Wir finden bald eine Tränke für dich’, redete Waldur ihm in der gedanklich-bildhaften Tiersprache zu - aber konnte Scalla ihm das glauben?
Neun Wochen war Waldur bereits unterwegs, befand sich längst auf dem Rückweg, und hier in Westburgund hatte er nun auf Burg Tours seinen letzten, einen dreitägigen Besuch abzustatten. Es war noch früh am Tag, weshalb es ihn nicht störte, dass Scalla heute so trödelig war.
Wie der Merowinger ihm prophezeit hatte, leistete ihm auf dieser Reise sein erstaunliches Sprachtalent gute Dienste, denn sein Weg hatte ihn immerfort durch neue Stämme und Sippenstämme geführt, die alle ihre eigene Mundart sprachen, und Waldur konnte sich oft schon binnen eines Tages mit den jeweiligen Stammesangehörigen recht leidlich in deren Mundart unterhalten. Hinzu kam seine Gabe und auch Freude daran, sich stets jenen Menschen anzupassen, unter denen er gerade weilte. Waren es Bauern, so gab er sich bei ihnen etwas derb, abends in den Herbergen konnte er gegebenenfalls mit den dortigen Zechern sogar fluchen, wohingegen er sich von den bekanntermaßen sehr musikalischen Westgoten in Südgallien ganz empfindsam in das Harfenspiel hatte einführen lassen. Einzig bei seinen Pflichtbesuchen an Höfen versagte ihm seine Anpassungsgabe ihren Dienst, denn dort war Nonchalance gefragt, eine Fähigkeit, die er trotz willigen Bemühens nicht erbringen konnte, sie stand seiner Tapsigkeit zu sehr entgegen.
Was Chlodwig jetzt wohl macht, fragte er sich nun zum unzähligsten Mal, worauf er sofort wieder diesen Stich in die Brust bekam. Auch sah er wieder den Abreisemorgen vor sich abrollen, da mochte sich Chlodwig noch so närrisch aufgeführt haben, seine Eltern und er hatten ihm doch angemerkt, wie schwer ihm der Abschied gefallen war. Das hatte auch Waldur die Abreise nicht gerade erleichtert, weshalb er seinen Freund jetzt mindestens so sehr vermisste, wie er wahrscheinlich ihn. Nur noch elf Tage, tröstete sich Waldur jetzt, graulte seinem Scalla die durchgeschwitzte, schwarze Mähne und redete ihm zu: ‚Lass die Ohren nicht so hängen, du Döstier, wir haben’s ja bald geschafft. Und später, in deinem neuen Frowanger Stall, das habe ich dir versprochen, bekommst du einen besonders schönen Platz mit einem hohen Fenster vor deinem langen Pferdegesicht. Hörst du?’
‚Ja’, antwortete Scalla in seiner knappen Art und forderte dann erneut: ‚Will jetzt Wasser.’
‚Noch etwas Geduld, wir finden bald welches.’
E ine halbe Stunde später hatten sie zwar noch immer keine Tränke entdeckt, wohl aber die Stadt Tours erreicht, in deren Burg Waldur König Chilperich seinen Besuch abzustatten hat. Zwischen den aneinander gedrängten Häusern regte sich kein Lüftchen, es brütete unerträgliche Hitze, Pferd und Reiter kamen sich wie in einem Backofen vor. Doch sie gelangten bald in den weiten, angenehm kühlen Schlosswald, wo Scalla schwerbeinig den Serpentinenweg zur Burg hoch
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