Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)
prächtiges Kleid, das Luzia neidisch bewunderte. »Was machst du da?«, fragte die Edelfrau nicht gerade freundlich.
Luzia stand auf, knickste und schlug den Blick nieder. »Gnädige Frau, ich sammle Heilwasser.«
»Das sehe ich. Wozu?«
»Gnädige Frau, es ist für Kranke. Die Quelle trägt viele Segnungen. Sie hilft auch bei Augenleiden. Das Wasser soll Blinde wieder sehend machen.«
»Ah.«
Diese Auskunft war wohl die richtige. Die Dame warf einen verächtlichen Blick auf Luzias bloße Füße, drehte sich herum und stolzierte zurück zur Kapelle. Frauen waren bei nichts so eifersüchtig wie beim Kinderkriegen. Hätte Luzia ihr gesagt, es sei für eine andere Frau zur Fruchtbarkeit, dann hätte sie ihre Diener geschickt, um die Gemeine von der Quelle zu jagen. Aber das Wasser für Augenleiden sammeln, das ging in Ordnung, das durften Bettler.
Zu dieser Quelle reisten von nah und weit die vornehmsten Damen, um das Heilwasser gegen Kinderlosigkeit zu trinken und in der Kapelle zum Heiligen Amor zu beten. Dabei hatte ihr der Küster erzählt, den Heiligen gab es nie. Die Quelle habe schon Amorquelle geheißen, bevor die Mönche im Tal das Kloster errichtet hatten. Weil der Amor ein heidnischer Gott war, dachten sie sich flugs die Mär vom Heiligen aus. Aber das Wasser, das half, sagte er. Luzias Meinung nach wirkten eher die Reise, die frische Luft und der fesche Pferdeknecht.
Bald war Luzia fertig und hievte sich die Kiepe auf den Rücken. Nun hatte sie das richtige Gewicht, so fiel niemandem auf, dass sie zu schwer sein könnte. Jetzt besaß sie statt ihrer Litzen neue Handelsware, mit der sie in einer anderen Stadt beginnen konnte: Heilwasser gegen Blindheit und Kinderlosigkeit.
Statt sich bergab nach Amorbach zu wenden, stieg sie einen Wildwechsel bergauf in den Wald. Weit musste sie nicht gehen, da schlug sie sich in die Büsche und ging zu einem Felsen, der aus dem Moos hervorsah. Darunter lag eine Ausspülung von genügender Größe. Schon vor Wochen hatte sie das Loch gegraben, in das sie jetzt die Kiepe schob. Ein Brett, ein Stein und eine Schicht Erde verschlossen das Versteck perfekt, Tannennadeln und altes Laub vertuschten, dass sich überhaupt jemand hier zu schaffen gemacht hatte.
Jetzt ging es zurück in die Stadt. Am Tor wurde sie wieder von den Wachen aufgehalten.
»Nanu, Luzia, wo ist deine Kiepe?«
»Verkauft! Die Zofen der vornehmen Dame haben mir all meine Ware abgekauft und auf dem Weg fand ich einen Trödler, der meine Kiepe brauchen konnte. Ist es nicht ein schöner Tag? Ich habe
genug Gewinn, dass ich mir heute Abend einen Becher Wein leisten kann.«
Gutmütig beglückwünschten die Wachen ihr Geschäft und sahen ihr nach, wie sie beschwingt die Straße herunter lief. Der Schuster begrüßte sie mit ihren fertigen Schuhen. Sie sahen aus wie neu und seine Arbeit war Luzia gerne die paar Kreuzer wert, die er verlangte. Mit den reparierten Schuhen spazierte sie durch die Stadt und sah sich alle Häuser an, die sie im Laufe der Wochen besucht hatte. Eine schöne, ruhige Stadt. Schade, dass sie weg musste.
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Lukas stand gerne hier auf dem Balkon, von dem aus er fast die gesamte Stadt überblicken konnte. Er liebte dieses alte Haus mit seinen verwinkelten Seitenflügeln und dem unübersichtlichen Keller, in dem er sich sein Laboratorium eingerichtet hatte. Aber am besten gefiel ihm der kleine Turm, zu dem man über eine klapprige Leiter gelangte. Dort hatte er das optische Instrument installiert, mit dem sich ihm eine unvorstellbare Sternenflut erschloss. So reichte sein Sichtfeld wohl an das der berühmten Astrologen des Morgenlandes heran. Vielleicht würden auch seine Horoskope eines Tages so große Bedeutung erlangen wie deren. Im Moment lag auf seinem Pult die Konstellationsberechnung für den Erzbischof von Mainz. Seit Lukas Marburg verlassen hatte, wollte er sich eigentlich in keine Kirchenangelegenheiten mehr einmischen, aber Johann Schweikhard von Kronberg hatte ihn ausdrücklich gebeten, nur seine Gesundheit zu beurteilen. Der gute Mann litt schwer unter Herzbeklemmungen, die Schmerzen ließen ihn nachts nicht schlafen und tags nicht arbeiten. So wurde er unduldsam seinen Untergebenen gegenüber und befolgte aus Unachtsamkeit schlechten Rat. Ein Horoskop sollte ein Heilmittel finden oder ihn ermutigen, Gottes Ratschluss anzunehmen. Wenn der Herr jemanden mit einem Leiden belastete, tat er gut daran, demütig seine Lehre daraus zu ziehen. Seine Exzellenz allerdings
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