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Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)

Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition)

Titel: Die Hexe muss brennen. Historischer Roman. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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eine langärmlige Bluse, nicht ganz passend in Muster und Farbe, dazu ein Bündel aus einer bunten Decke. Jetzt nahm man ihr spielend die alte Zigeunerin ab. In das Bündel kam alles, was von ihren Sachen noch im Zimmer herumlag. Zum Glück kein Stück Beute.
    Nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang, unter sich hörte sie die Familie beim Abendessen rumoren. Ein Blick aus dem Fenster überzeugte sie, dass sich alle Familien um den Abendessenstisch versammelten. Es war draußen still und menschenleer. Ein weiter Sprung beförderte Luzia aus dem Fenster. Im Hof federte sie gekonnt ab und rannte die paar Schritte vom Hof. Niemand hatte sie gesehen. Sie schulterte ihr Bündel und wanderte flott die Gasse entlang. Wie ausgestorben erstreckte sich der Weg vor ihr. Am Ende der Gasse bog sie auf die breitere Straße ein und gelangte zum Marktplatz. Nichts mehr war vom Scheiterhaufen zu sehen, auch die Tribüne hatte man abgebaut. Sie bog nicht links ab zum Rathaus, sondern ging geradeaus weiter zum unteren Tor. Das bedeutete ein Stück zu laufen, der Weg wand sich am See vorbei, ein Umweg zur Amorquelle, wo sie ja ihre Kiepe abholen musste. Den Wachen am oberen Tor wollte sie nicht das dritte Mal heute über den Weg laufen. Sie erkannte sich selbst nicht im Spiegel, nur - wer weiß - vielleicht hatten die Wachen doch bessere Augen, als sie dachte.
    Als das Tor in Sicht kam, senkte sie den Kopf, sah auf ihre Füße und hob das Bündel höher auf die Schultern. So sah es aus, als ob es schwer wäre und sie etwas gebeugt. Ihr Herz begann heftiger zu klopfen. Schlecht, das konnte auffallen. Ob sie den Fuß nachziehen sollte? Besser nicht. Nicht übertreiben. Ganz natürlich. Ohne im Tempo nachzulassen, ging sie auf das Tor zu. Die beiden Wachmänner hatten den ganzen Tag auf Posten gestanden und ersehnten das Ende ihres Dienstes. Nach Sonnenuntergang wurde das Tor geschlossen, sie konnten nach Hause gehen. Die Sonne berührte schon den Horizont. Diese beiden groben Gesellen kannte sie auch, aber nicht so gut wie die am oberen Tor. Sie standen beisammen und schwatzten, achteten gar nicht darauf, was um sie herum vorging. Luzia war schon fast unter dem Torbogen, als der eine dem anderen zurief: »Die Zigeunerin! Fang sie!«
    Schreckensstarr blieb Luzia stehen, als sie am Arm gepackt wurde. Heiße Wellen liefen über ihren Rücken wie die Güsse der Badefrau. Mühsam bekämpfte sie die Panik und hielt die Füße still. Sie zog den Kopf ein, starrte auf das Straßenpflaster und wimmerte. »Aber was ist denn? Ich hab doch nichts getan!«
    »Maul, Alte! Uns entkommst du nicht!«
    Mehr Auskünfte bekam sie nicht, so sehr sie auch bat und bettelte. Nur einen Fehler beging sie nicht: Sie sah niemandem in die Augen. Ihre Augen waren blau und passten nicht zu der dunklen Gesichtsfarbe und den schwarzen Haaren. Noch immer hoffte sie, dass der Sonnenuntergang die Wachmänner gleichgültig machte. Was auch immer sie von ihr wollten, den geruhsamen Abend aufzuschieben, war es bestimmt nicht wert. Der eine schloss schon das Tor und ließ den schweren Riegel fallen. Ihre Hoffnung schwand, als er davonrannte und der andere sie mit stoischer Ruhe am Arm gepackt hielt. Vielleicht hätte sie sich losreißen, aber niemals so schnell das Tor öffnen können. Der Mann hätte sie auf jeden Fall sofort erreicht. Nachdem sie eine Weile gejammert hatte, langte es der Wache. »Halt jetzt endlich den Rand, Alte, sonst hau ich dir auf die Gosch, dass du still bist!«
    Das war ihr Warnung genug. Schlagen lassen wollte sie sich nicht. Also schluchzte sie nur noch ein wenig. Doch Mitleid war dem Wachmann fremd, Kälte stand in seinem Gesicht, kein Erbarmen für die alte Frau. Nach erstaunlich kurzer Zeit kehrte die erste Wache zurück in Begleitung zweier Stadtbüttel. Wie ein Gepäckstück schob die Wache sie in die Arme der Büttel, die sie rechts und links packten und wegführten. Ihr Bündel trug sie weiterhin. »Gute Herren«, versuchte sie es, »wohin bringt ihr mich denn nur?«
    »Schnauze, Alte! Lauf freiwillig, sonst machen wir dir Beine!«
    Eingeschüchtert durch die groben Hände an ihren Armen schwieg Luzia tatsächlich. Momentan schien Flucht unmöglich, aber bestimmt ergab sich die Gelegenheit. Sie rechneten nicht damit, dass sie flink und wendig ausbüxte. Der Weg, den die beiden liefen, gab ihr Rätsel auf. Das war nicht der Weg zum Rathaus, wohin doch zuerst jeder Gefangene kam. Der Turm, in den man die Gefangenen hinterher warf, lag wieder

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