Die Hexe soll brennen
Christine wußte wieder, wo sie war. Erinnerte sich kaum, daß der Name Balthasar gefallen war. Wollte aber den eigenen Vater schützen. »Mein Vater nicht«, beteuerte sie.
Monhaim gab dem Henker einen Wink. Die Streckwinde knarrte; drehte sich um eine Handbreit weiter. Wieder schrie Christine gellend, als sich der gebrochene Knöchel verschob. »Dein Vater, nicht wahr?« mischte sich nun wiederum Straßmayr ein. »Wolfgang Weinzierl, ja?«
»Ja, auch mein Vater«, heulte Christine.
»Löst sie aus den Seilen«, befahl der Jesuit zufrieden. »Es ist genug für heute. Gott war dieser Sünderin gnädig. Sie hat begonnen, ihre Seele zu retten, wenn auch ihr sündiger Leib verderben muß. Bringt sie alle zusammen in die Zellen zurück!«
Während die Büttel die drei Gefangenen hinaustrugen – auch Christine, die noch auf eigenen Füßen in die Fragkammer gekommen war –, trank Straßmayr Wein. Monhaim scharwenzelte um ihn wie ein Hündchen; doch der Jesuit beachtete ihn kaum. Nach einer Weile wandte er sich dem wie versteinert dasitzenden Pfatterer Pfleger zu: »Der alte Weinzierl und Balthasar Grueber gehören zu Eurem Amtsbezirk, Michel. Reitet morgen mit Knechten los und verhaftet sie. Die Hexenbrut darf nicht noch weiterhin frei herumlaufen!« Kaspar Michel reagierte nicht. Der Zinnbecher, den er in beiden Händen hielt, war zu einem unregelmäßigen Oval verkrümmt.
»Pfleger! Was ist los?« Erstaunt musterte Straßmayr den Beamten. Dachte dann: ein lascher Hund. Gerade deswegen muß er es tun. »Du hast mich verstanden, Kaspar Michel?«
»Nach Pfatter«, murmelte der. »Den Weinzierl. Den Balthasar. Ich hab' verstanden. Ich reite sofort, nicht erst morgen.«
»Wie Ihr wollt.« Die Anrede Straßmayrs klang wieder höflich. »Dann reitet eben sofort.«
Schwankend ging der Pfleger nach draußen, nach oben, hinaus in den Zauber der sommerlichen Abenddämmerung. Er holte sich seinen Gaul aus der Herberge, suchte sich zwei Knechte in ihrem Quartier in der Fronfeste, jagte ihnen voraus, in die Nacht hinein.
Und dachte, während der ganzen Stunden nach Pfatter, immer wieder das eine: Ich kann nicht mehr. Es muß etwas geschehen. Ich kann's nicht mehr mit ansehen. Die Katharina. Die anderen. Ich kann nicht mehr. Ich verreck' selbst dran …
Das Urteil
Sommer 1689 bis Sommer 1690
»Aber weil es sehr unwürdig ist, mit geschlossenen Augen an ungestraften Beleidigungen gegen Gott vorüberzugehen und dabei Beleidigungen gegen Menschen zu ahnden, da es schlimmer ist, die göttliche Majestät zu verletzen als die menschliche, und damit deine Verbrechen keinen Ansporn für andere zu Vergehungen bilden, und daß du für die Zukunft vorsichtiger gemacht und für später weniger zur Begehung der vorgenannten oder ähnlicher Taten geneigt würdest, und damit du im künftigen Zeitalter leichter bestraft werdest, verurteilen oder vielmehr büßen wir, der vorgenannte Bischof und Richter dich in unserer Gegenwart persönlich erschienenen N.N. an diesem Tage und zu dieser Stunde, die dir vorher bestimmt worden sind, urteilskräftig in der Weise, welche folgt, nachdem wir in und über diesem den gesunden und reifen Rat Erfahrener eingeholt haben, sitzend vor dem Tribunal nach der Weise urteilender Richter; indem wir Gott allein und die unzerbrechliche Wahrheit des heiligen Glaubens vor Augen haben, während die hochheiligen Evangelien vor uns liegen, damit im Angesicht Gottes unser Urteil ergehe …«
(Hexenhammer)
Jetzt spann die Kreuzspinne ihr Netz. Weil Christine Weinzierl, diese Schutzlose im Leerbereich zwischen Mädchen und Weib, auf der Folterbank zusammengebrochen war, standen dem Jesuiten und seinem Adlatus, dem Kapuziner, nun alle Möglichkeiten offen. Um den gebrochenen Knöchel der Siebzehnjährigen schlangen sie den ersten klebrigen Strang ihres Fangnetzes, zerrten ihn hinüber zu Katharina Grueber, schossen Stränge quer zu deren gebrochenen Eltern, und schon hatten sich im Winkelwerk zwei neue Opfer gefangen: Wolfgang Weinzierl und der halbwüchsige Balthasar Grueber.
Aus dem ersten Fangfaden des Kreuzspinnennetzes waren zunächst vier geworden. Jetzt schlangen bereits sechs ein tödliches Gitter. Folterungen und daraus sich ergebende immer neue Anschuldigungen schufen weitere Maschen in die Länge und in die Quere. Mit dem Zusammenbrechen Christines war alles zusammengebrochen.
Die alte Grueberin, von der Halbwüchsigen des Gabelfahrens zum nächtlichen Diebstahl beschuldigt, setzte – giftig
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