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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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mich befinde, nicht mehr zu durchschauen, Freund von Feind nicht mehr
zu unterscheiden. Zu vermischt sind die Verbände, zu fremd alle Gesichter. In der
unbekannten Masse schweift mein Blick umher, sucht ein ganz bestimmtes Antlitz.
Hektisch sehe ich mich um.
    »Maximilian! Max!«
    Obwohl ich es gar nicht will, beginne ich laut
den Namen meines Bruders zu rufen und bete innerlich zum Allmächtigen, dass er in
derselben Sekunde neben mir auftauchen möge und mich schelmisch angrinst, so wie
er es immer getan hat. Wie damals, als er mich zum ersten Mal mit auf Hühnerjagd
nahm und ich auf einmal im Feld allein war, bis er auftauchte und mich rettete.
Wie damals, als der Bauer Kelson uns jagte und er ihn in den Wald lockte, um von
uns abzulenken, und später zu Hause wieder breit grinsend auftauchte. Doch irgendetwas
sagt mir, dass er jetzt nicht kommen und mich retten wird. Um mich herum tobt das
Chaos des Schlachtgetümmels, und so sehr ich mich auch anstrenge, ich vermag nicht
einmal meine eigene Stimme zu hören.
    Der dumpfe Aufprall der Kanonenkugel reißt mich aus meiner Suche. Mein
letzter Gedanke gilt nicht meiner Familie, nicht meinem Bruder, meinem Leben oder
Gott, er gilt ihr. Es ist ihr Gesicht, das ich als Letztes sehe, als der Ackerboden
sich auf einmal unter meinen Füßen verliert und der weiße Schnee immer mehr in ein
tiefes Schwarz gleitet.
     
     
    Kempen am Niederrhein, zwölf Tage zuvor
    Was für eine Pracht ! In der Nacht zum Sonntag war Schnee gefallen und hatte die festgetretenen,
braunen Pfade und die schäbigen Kopfsteinpflaster in ein majestätisches Weiß getaucht.
Die Schritte der Familie gaben nun kein Schlurfen oder Scheppern, kein Klackern
oder Stampfen, sondern nur ein leichtes Knirschen von sich, als sie sich ihren Weg
zur Peterskirche bahnte.
    »Amelie, Maria, Siegfried! Kommt aus dem Schnee heraus und macht euch
nicht schmutzig! Der Gottesdienst beginnt gleich!«
    Die raue Stimme des Vaters grollte über den gut gefüllten Marktplatz.
Die Kleinen schreckten hoch und gesellten sich zu ihren zwei älteren Brüdern, die
sich vor der Gruppe leise unterhielten. Als der Vater diese Worte gesprochen hatte,
kehrte sein sorgenvolles Gesicht zurück. Tiefe Furchen hatte der Winter bereits
in das Antlitz des hünenhaften Mannes geschlagen. Die muskulösen Oberarme spannten
das Wams, das er sich übergeworfen hatte. Doch die Kälte des Winters war nicht der
Grund, warum er sich so in seinem Mantel vergrub.
    »Was hast du, Josef?«
    Die mitfühlende Miene seiner Frau rang ihm ein Lächeln ab.
    »Es ist nichts, Marta.«
    »Das glaube ich dir nicht«, sagte sein Weib und stupste ihn zärtlich
in die Seite. Obwohl sie eher von zierlicher Gestalt und ihre Gesichtszüge fein
und spitz waren, schien der Winter ihr weniger anhaben zu können als ihrem Ehegatten.
Gelegentlich blies ein kräftiger Windstoß ihre langen, dunklen Haare vor das Gesicht,
doch das konnte sie nicht davon abhalten, den Blick auf ihrem Mann ruhen zu lassen.
Mit einem lauten Seufzen gab er schließlich nach.
    »Man sagt, dass Marschall Guébriant seine Truppen in diesem Gebiet
sammelt. Das Hauptheer der Franzosen und Schweden, zusätzlich Söldner aus Hessen.
Die Reiter sprechen von vielen tausend Mann.«
    »Seit wann interessiert dich das Wort der Reiter? Du kennst dieses
gottlose Gesindel. Trunkenbolde und Spielsüchtige.« Dabei stieß sie einen verächtlichen
Ton aus. »Du solltest nicht auf sie hören. Der Kampf wird viele Meilen von uns entfernt
stattfinden.«
    Die Stimme der Frau war laut und klar, doch auch
Angst schwang in ihren Worten mit. Schließlich hatte sie die Gerüchte ebenso gehört.
Der Blick der beiden wanderte automatisch auf ihre Kleinsten, die schon wieder tobten
und mit Schneebällen aufeinander warfen. Die Müßiggänger und Kirchenbesucher lächelten,
wenn sie an ihnen vorüberkamen. Das Jauchzen der Geschwister erfüllte den gesamten
Marktplatz der kleinen Stadt und die Herzen ihrer Eltern. Wehmütig schauten sie
ihren Kindern einen Moment lang zu.
    »Lorenz, Maximilian, kümmert euch um eure Geschwister,
ich will sie nicht dreckig in der Kirche sehen«, unterbrach die Mutter schließlich
das Gejohle in dem Bewusstsein, dass die Kirchturmglocken aufgehört hatten zu schlagen.
    »Ja, Mutter«, ertönte es von den älteren Brüdern.
Fürsorglich klopfte der 20-jährige Maximilian seinen beiden jüngeren Schwestern
den Schnee aus den Kleidern. Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Lorenz nahm sich den
Kleinsten

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