Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
und Prügeleien, und nicht immer
wurden sie nur mit Fäusten geführt. Die regulären Soldaten mieden die Freiwilligen,
und sie waren froh, dass sie sich nicht weiter mit ihnen unterhalten mussten. Es
kam nicht selten vor, dass Neuankömmlinge von den älteren Soldaten ihres Hab und
Guts beraubt wurden. Es war allein Jakob zu verdanken, dass ihnen nicht das gleiche
Schicksal widerfuhr. Seine imposante Gestalt schien die anderen abzuschrecken, und
so wurden sie weitestgehend in Ruhe gelassen. Lorenz und Max hatten, bereits kurz
nachdem sie Kempen verlassen hatten, die alten Musketen der Stadtwache ihren Freunden
gegeben. Ratte hatte im Lager einen ordentlichen Preis dafür rausgeschlagen, so
konnten sich die vier zumindest einmal am Tag eine Mahlzeit gönnen. Beileibe war
dies nicht selbstverständlich. Die vier hörten von schlimmen Fällen der Ruhr und
weiteren Krankheiten am anderen Ende des Lagers. Soweit es ihnen möglich war, blieben
sie zusammen und versuchten, der Ausbildung des Kompaniechefs zu folgen. Er war
ein hagerer, kleiner Mann, mit gezwirbeltem Schnauzbart und fester Stimme, der den
zusammengezogenen Truppen von Freiwilligen die Grundbefehle des Krieges beibrachte.
Wer nicht spurte, wurde härter geschlagen, als der Hauptmann der Stadtwache es jemals
getan hätte. Es war durchaus die Regel, dass dabei Knochen brachen. Offene Wunden
und schlecht verheilte Brüche begegneten ihnen allerorts. Aus dem Zelt der Ärzte
verteilte sich ein bestialischer Gestank über das Lager, der sich selbst in ihre
Kleidung hineinzufressen schien. Alles hier schien zu stinken, und man musste sich
beinahe eine Meile vom Lager entfernen, um frische Luft in seine Lungen ziehen zu
können. Die Soldaten luden ihren Unrat überallhin ab, sodass die Freunde aufpassen
mussten, wo sie ihre Schritte hinsetzten. Der disziplinierte, ehrenhafte Soldat
war woanders, nur nicht hier. Und auch die geringe Hoffnung, dass sie General Lamboy
persönlich einmal in Augenschein nehmen dürften, wurde ihnen von den älteren Männern
genommen.
»Kommt immer einen Tag vor Schlachtbeginn«, sagten sie. »Der nächtigt
in einem der Dörfer, aber doch nicht hier.«
Wenn es Abend wurde und die vier sich zu den anderen
Partisanen in das riesige Zelt schlafen legten, wachte Lorenz noch lange. Er war
dankbar, das bekannte Schnarchen seines Bruders neben sich zu vernehmen, und doch
starrte er aus einem Loch im Zeltlaken in den Himmel. Lorenz kam es so vor, als
hätte er die Sonne bereits seit Tagen nicht mehr sehen können. Umso mehr er versuchte,
sich tagsüber auf die Ausbildung zu konzentrieren, desto stärker kamen in der Dunkelheit
die Gedanken an Antonella zurück. Mit offenen Augen starrte Lorenz den Sternen entgegen
und hoffte inständig, dass es ihr gut ging. Am ersten Abend hatte er noch an Flucht
gedacht, doch als er sah, wie ein Fahnenflüchtiger erst mit einem Spießrutenlauf,
dann mit dem Prügel zugerichtet und anschließend getötet worden war, verwarf er
diesen Gedanken schnell. Maximilian indes schien immer stiller zu werden, desto
länger sie an diesem Ort verweilten. Waren die Gespräche in den ersten zwei Tagen
noch herzlich und scherzend gewesen, konnte man nun mit ihm über nichts anderes
mehr reden als den Dienst für den Kaiser und das Abschlachten von französischen
Soldaten. Oft starrte er in eines der wenigen entzündeten Feuer und beobachtete
die zuckenden Flammen. Es dauerte keine vier Tage, da war Maximilian bereits der
Liebling des Kompaniechefs. Er durfte sogar einige Ausbildungseinheiten leiten.
Und das mit Recht, wie Lorenz befand. Schließlich zeigte er von allen zusammengezogenen
Truppen von Partisanen der Region den meisten Ehrgeiz und den stärksten Willen,
der Beste zu werden. Doch je erfolgreicher er wurde, desto weniger redete er. In
Maximilian schien etwas zu kämpfen, was Lorenz nicht verstand. Sein Bruder redete
sogar im Schlaf. Es war nur ein Wispern, doch verständlich genug, um Lorenz bedenklich
zu stimmen. Schließlich hatte Maximilian, soweit er sich erinnern konnte, noch nie
im Schlaf gesprochen. Generell schien das kurze Leben im Lager die Menschen bereits
zu verändern. Jakob sah man nur noch mit einem Bierkrug und billigem Fusel in den
Händen. Es war ein Wunder, dass er noch lebte, bei den vielen Prügeleien, die er
anzettelte. Wäre Ratte nicht gewesen, der immer wieder zu beschwichtigen versuchte,
wäre Jakob bereits vor der Schlacht gestorben. seinen Sold hatte er beileibe längst
in Alkohol
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