Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
beide Brüder ansprach, so blickte er aus tiefen Augenhöhlen lediglich
Lorenz an.
»Ja, Herr«, antwortete dieser.
»Ihr seid bereit, abzumarschieren.«
Lorenz kam es vor, als wäre dies keine Frage,
sondern lediglich eine Feststellung. Und selbst diese war nicht auf die Brüder,
sondern auf den Hauptmann selbst bezogen. Bevor Lorenz etwas entgegnen konnte, setzte
der Uniformierte nach.
»Ihr seid pünktlich und bereit abzumarschieren«, sagte er im selben
Ton. Verwundert blickte Lorenz den Mann an. Es schien, als würde Enttäuschung mit
jedem ausgesprochenen Wort mitschwingen.
»Ja, Herr«, sagte Lorenz leise.
Hörbar atmete der Hauptmann aus. Wenn Lorenz es nicht besser gewusst
hätte, hätte man annehmen können, dass er wütend darüber war, ihn hier anzutreffen.
Langsam holte er ein Blatt Papier hervor und machte hinter die Namen der Brüder
einen Haken.
»Gut«, sagte er zähneknirschend und gesellte sich zu seinen Soldaten.
»Der Hauptmann benimmt sich merkwürdig«, flüsterte Maximilian zu der
kleinen Gruppe.
»Ist gut«, scherzte Jakob, während er den Brüdern kräftig auf die Schultern
klopfte, »dass der alte, verrückte Hund hier bleibt.«
Während sich immer mehr Einwohner auf dem Marktplatz einfanden, wurde
Tillmanns Stimme immer höher und heiserer. Irgendwann war diese nicht mehr zu überhören,
und so drehten sich auch die Freunde zu dem Geistlichen um, um seinen Worten zu
lauschen.
»… jeder muss Opfer bringen, um an die Gnade des Herrn zu appellieren.
Seine unendliche Güte muss man sich aber auch erarbeiten, durch Reinheit im Geiste
und Reinheit in der Tat.« Tillmann atmete bereits schwer und der Schweiß rann in
Bächen seine Stirn hinunter.
»So, wie diese jungen Männer es tun.« Mit einer Handbewegung deutete
er in Richtung der Freiwilligen. »Sie ziehen in die Schlacht, um Gottes Willen auszuführen
und die Feinde des Herrn zu schlagen!«
Es war den Freunden beinahe peinlich, von den Bewohnern der Stadt angestarrt
zu werden. Auch wenn die Blicke der Menschen wohlwollend und anerkennend waren.
Lediglich Ratte und Jakob erhoben grinsend die Hände und ließen sich ein wenig feiern.
»Sie vertreiben das Scheusal, das Gift der Ungläubigkeit. Sie ziehen
in die Schlacht und bekämpfen die Feinde des Herrn. Sie sind es, die sich dem Bösen
entgegenstellen wollen.« Seine Hände breitete er dabei aus, als würde er den gesamten
Marktplatz umarmen wollen. Die Menge johlte und klatschte dem Geistlichen entgegen.
Er wartete, bis das Jubeln an seinem Höhepunkt angelangt war, und schritt
einige Ellen auf die Leute zu. Seine dicke Ader an der Schläfe pulsierte heftig,
als er die Menschen förmlich anschrie.
»Und was tut ihr?«
Der eben noch aufgebrandete Jubel erstarb sofort.
»Was tut ihr, Bürger von Kempen, um das Böse von dieser Stadt fernzuhalten?
Feinde gibt es überall. Sie sind allerorts!«
Es schien, als müsse sich Tillmann abstützen, doch kniete er sich nur
der ersten Reihe Menschen entgegen. »Ich sage, ihr müsst das Böse erkennen, es ausrotten,
bevor es von euch und der ganzen Stadt Besitz ergreift!«
Abermals jubelte ihm laut die Menge entgegen. Das Johlen brandete so
plötzlich und heftig auf, dass Lorenz sich die Ohren zuhalten musste. Eine Gänsehaut
zog sich über seinen Körper. Gespenstisch sahen die Schatten der Masse aus, die
die Fackeln an die weiß getünchten Häuserwände warfen. Umrandet von rotem Feuer,
meinte Lorenz ein Reh erkennen zu können. Er verschärfte seinen Blick. Unnachgiebig
wurde es von der Masse erdrückt, bis es schließlich komplett in ihr verschwunden
war. Schnell schüttelte Lorenz den Kopf und fuhr sich über das Gesicht. Er hatte
wahrlich wenig geschlafen in den letzten Tagen.
»Wann bekommen wir eigentlich unseren Sold?«, wollte Ratte wissen.
»Hoffentlich bald, ich habe nämlich Durst«, antwortete Jakob. »Ich
hoffe, auf dem Weg gibt es …«
Doch er beendete diesen Satz nicht. Ratte und Jakob starrten mit großen
Augen hinter die Brüder. Sofort drehten sich auch Lorenz und Maximilian um.
»Ich wollte dich verabschieden«, war die verführerische Stimme von
Elisabeth zu vernehmen. Auf wenige Zoll war sie bereits an ihn herangetreten und
legte sofort die Hände auf seine Brust. Ihr hellrotes Kleid und ihr goldenes, offenes
Haar stießen aus der braunen und grauen Masse hervor und ihre Ringe und Ketten funkelten
um die Wette. An diesem Abend trug sie ein besonders tief geschnittenes Dekolleté,
das die Blicke der
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