Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
blendende
Licht in seinen Augen. Dann setzte sich die Masse, dieses Monster aus mehreren tausend
Mann, in Bewegung. Zum ersten Mal hatte Lorenz das Gefühl, dass er wirklich Teil
einer Armee war. Die Offiziere galoppierten die Kompanien ab und achteten penibel
darauf, dass die Reihe gehalten wurde. Wer zu langsam war oder nicht mehr konnte,
wurde von den Unteroffizieren zurückgeprügelt. Einige hatten lange Spieße, mit denen
sie den Männern ein paar Stiche verpassten, wenn sie nicht spurten. So stapften
sie über den neu gefallenen, glitzernden Schnee, von dem nur braune, schlammige
Masse übrigblieb, wenn der Tross ihn passiert hatte. Die Regimenter mussten nicht
lange marschieren. Bald hatten sie das südliche Ende von Crefeld erreicht. Nur noch
einen Hügel und schon würden sie die Landwehr sehen, den langen Verteidigungsgraben,
der die Stadt vor plündernden Horden beschützen sollte. Die Freunde ächzten, als
sie die kleine Steigung nahmen.
Dann erblickte Lorenz das Hauptheer. 8.000 Mann
hatten sich hinter der Landwehr verschanzt und warteten in Reihen auf die Befehle
ihrer Offiziere. Ein kalter Wind blies über die Heide und Lorenz ins Gesicht. Er
musste stehen bleiben, um zu erfassen, was er gerade sah. Allein das Hauptheer hatte
mehr Männer als Kempen Einwohner. Dazu die Artillerie, die geschickt postiert war,
und die flinke Kavallerie, die große Furchen in die feindlichen Linien schlagen
sollte. Es schnürte ihm zunehmend die Kehle ab und er musste tief durchatmen. Von
den anderen Soldaten hörten die Brüder, dass Graf von Hatzfeld noch einmal die Armee
mit 1.000 Mann verstärken sollte. Über die Truppen des Feindes gab es widersprüchliche
Angaben. Mal sollten es nur 4.000 sein, dann über 10.000. Meist hing es davon ab,
wie viel der Soldat getrunken hatte, der die Geschichte erzählte. Doch ganz egal,
wie viele Soldaten der Feind schicken würde, diese Armee, auf die Lorenz nun hinunterblickte,
schien unbezwingbar. Dazu war die Landwehr zu gut ausgebaut. Ein tiefer Graben zog
sich, so weit er blicken konnte. Dahinter war ein Wall aus Sträuchern aufgetürmt.
Die Feinde würden es schwer haben, diesen zu bezwingen. Einige Sekunden konnte er
den Anblick noch genießen, dann wurde er bereits von den hinter ihm stehenden Partisanen
weitergeschubst. Schnell wurde ihnen ein Platz im Zentrum zugewiesen. Was für ein
Stimmengewirr. Sie schienen von überall her zu kommen, die ganze Masse schien zu
reden. Erst standen sie noch mit gezückten Waffen, wobei der ein oder andere der
älteren Soldaten einen neidischen Blick auf die Musketen der Brüder warf. Es war
beileibe nicht normal, dass Partisanen solche Waffen erhielten. Ein weiterer Grund,
warum man sie nach vorn beordert hatte. Es hatte nicht einmal sieben Uhr geschlagen,
da sickerte auch schon die Nachricht durch, dass das französisch-schwedische Heer
von Marschall Guébriant noch weit entfernt wäre. Es könnte einige Tage dauern, bis
die entscheidende Schlacht bevorstünde. Erst kamen diese Meldungen einzeln und ihnen
wurde direkt widersprochen. Doch dann häuften sich die Gerüchte. Während andere
froh durchatmeten, einige sogar auf die Knie fielen, um zum Allmächtigen zu beten,
war Maximilian sichtlich enttäuscht von den Neuigkeiten, er wurde beinahe wütend.
»Französisches Pack! Schwedische Hunde! Haben keine Ehr«, redete er
die ganze Zeit vor sich hin.
Die Freunde wollten bereits aus der Formation ausbrechen und ein warmes
Feuer aufsuchen, doch plötzlich ging alles ganz schnell. Mehrere Kundschafter ritten
wie vom Teufel selbst besessen auf die kleinen Kommandozelte am hinteren Ende des
Feldes zu. Dann verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Sie kommen! Guébriant
will nicht warten, bis Lamboy seine Verstärkung erhält, er will ihn jetzt stellen.
Waren es eben noch vereinzelte Gespräche gewesen,
durchzogen jetzt gebrüllte Kommandos die Reihen der Soldaten. Das Monster setzte
sich in Bewegung. Allerorts beorderten die Offiziere ihre Männer in Stellung und
befahlen ihnen, die Linien zu halten. Es war noch nicht einmal acht Uhr, als die
ersten Feinde in Sichtweite waren. Mit hoch erhobenen Fahnen marschierten sie in
Linien. Hunderte von Pferden konnte Lorenz erkennen, dazu Pikeniere und Musketenschützen.
Doch es war nicht der gemächliche Schritt, den die Freunde eben gegangen waren,
sie eilten buchstäblich in ihre Positionen. Der ganze Horizont war nun voll mit
französisch-schwedischen Soldaten. Schnell formierten sie
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