Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
selbst trieb ihn an. Jakob zog eilig seinen Säbel und
schlug wie von Sinnen auf die Menschen ein. Auch er war nun umzingelt von der tobenden
Meute und wurde von ihr rasch zu Boden geworfen. Es war nur den gezielten Schlägen
von Rattes Eisenstange zu verdanken, dass er seinen Freund, aus vielen Wunden blutend,
schließlich aus der Menge befreien konnte. Das Gesicht zu einer Fratze verzerrt,
stürzte Lorenz über die Eisfläche. Die spitzen Schreie und qualvollen Rufe schienen
überall zu sein, und die Rauchschwaden des Feuers wirkten wie eine Wand, durch die
er sich hindurchkämpfen musste. Kurz blickte er sich um. Der rothaarige Anführer
der Hessen schlug mit einer Brutalität auf die Menschen ein, wie Lorenz es nie für
möglich gehalten hätte. Es waren nur noch wenige der Söldner übrig und doch prügelten
und stachen sie wie von Sinnen auf die Bewohner ein. Doch er musste weiter, weiter
zu ihr. Der graue Schleier schien Realität geworden zu sein, als er vor dem Scheiterhaufen
stand und nur noch die Umrisse Antonellas erkennen konnte. Eilig suchte er sich
einen Weg durch die Flammen, doch etwas hielt ihn zurück, mit einer Kraft, deren
Ursprung nur Angst sein konnte. Mit einem Ruck wurde Lorenz einige Meter zurückgeschleudert.
»Es ist die falsche Entscheidung!«, brüllte ihn Maximilian an. Mit
eisernem Griff hielt er die Arme seines Bruders, so fest, dass es schmerzte. »Schau
es dir an, die Hessen verlieren gegen die Übermacht! Sie werden bald schon abgezogen
sein. Und dann?«
Nur kurz ließ Lorenz einen Blick über das Chaos schweifen.
Lediglich der Anführer und drei seiner Männer droschen noch verzweifelt
auf die Menschen ein. Wie ein Rudel hatten sie diese umstellt und trafen sie mit
Säbeln und Fäusten.
Tränen rannen über Maximilians Gesicht und vermischten sich mit Dreck
zu einer braunen Masse. »Lorenz, es ist vorbei. Sie ist längst tot!«
Der Qualm füllte die gesamte Lichtung und lähmte seinen Verstand. Er
vermochte nicht mehr Freund von Feind zu unterscheiden. Sogar die Umrisse von Antonella
waren verschwunden.
»Wie kannst du das sagen? Du bist mein Bruder!« Er versuchte den Griff
Maximilians zu lösen, doch seine Hände wirkten wie gehärteter Stahl.
»Ich sage dir das, weil ich dein Bruder bin!«
Lorenz wusste nicht mehr, was er fühlen sollte. Die Gedanken und Bilder
schossen auf ihn ein, während Maximilian ihn weiter von der Eisfläche zog. Sein
ganzer Körper zitterte vor Wut. Lorenz versuchte in den Augen von Maximilian die
Antwort zu finden. Vergebens.
Erst der helle, qualvolle Schrei Antonellas, so voller Pein und Schmerz,
dass es ihm das Herz bluten ließ, ließ ihn stoppen.
»Ich muss …«
Maximilians Stimme … sie schien zu zerreißen. »NEIN! Du wirst mit mir
gehen.«
Mit aller Kraft entriss Lorenz sich seinem Griff und eilte dem Scheiterhaufen
entgegen. Doch sein Bruder packte ihn hart bei den Schultern und warf ihn krachend
auf die Eisfläche. Wutentbrannt funkelte er ihn an.
»Du wirst mit mir gehen!«
Nur mühsam rappelte Lorenz sich auf und schlug
seinem Bruder die Faust ins Gesicht. Maximilian taumelte zurück. Seine Nase blutete,
als er sich mit lautem Schrei auf Lorenz stürzte. Der Tritt in die Magengrube ließ
ihn zurückweichen, alles schien sich zu drehen, doch Lorenz musste weiter. Aus vollem
Leibe rammte er seinen Ellenbogen gegen die Stirn Maximilians. Er fiel auf den Rücken
und blieb stöhnend liegen. Lorenz war nur noch wenige Ellen vom Feuer entfernt,
mit der Hand musste er sich gegen die Hitze schützen. Und immer wieder hörte er
die qualvollen Schreie Antonellas. Verzweifelt wuchtete er einige brennende Holzbalken
zur Seite, der Schmerz war ihm gleichgültig. Endlich konnte er zu ihr durchdringen.
Das Feuer hatte sich bereits an ihrem Rock heraufgefressen, schien überall zu sein,
doch sie lebte. Die Hitze war unerträglich und brannte bereits einige wenige Ellen
vor dem Scheiterhaufen schmerzend auf Lorenz’ Haut.
Gerade als er zum Sprung ansetzen wollte, wurde er zurückgeworfen.
»Das ist Selbstmord, sie ist bereits verloren!« Maximilian klemmte
Lorenz’ Arme ein und versuchte ihn mit aller Kraft zu halten. Die Gesichter der
beiden waren rot vor Anstrengung und Zorn. Hastig und wild rangelnd versuchte Lorenz
sich vom Griff seines Bruders zu lösen, genau wie Maximilian versuchte, Lorenz vom
Scheiterhaufen wegzuziehen.
»Antonella, ich …«
Mitten im Satz stoppte Lorenz. Seine Hand glitt an sein Hemd. Es fühlte
sich warm an.
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