Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
Jakob mit hochrotem Gesicht.
»Du hast doch die Masse gesehen, Lorenz. Allein wirst du es nie schaffen.
Mit uns hast du vielleicht eine Chance«, fügte Ratte hinzu, während er die Eisenstange
wieder in den Gürtel gleiten ließ.
Lorenz wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Im Stillen dankte
er Gott für solche Freunde.
Vaters Kopf war gesenkt, mit ruhigem Schritt ging er Elle für Elle
auf Lorenz und Maximilian zu, bis sie nur wenige Zoll auseinander standen. Lorenz
wollte zurückweichen, aus Angst, dass Vater ihn packen und ins Haus zerren würde.
Doch seine Stimme war ganz leise und zitterte.
»Du wirst auch mitgehen, Maximilian.«
Er nickte.
»Und pass auf deinen Bruder auf. Bring ihn, so schnell es dir möglich
ist, zurück.«
Keinen der beiden Brüder sah Josef an. Wortlos
drehte er sich um und machte sich daran, die Leichen der Männer zu verstecken, um
keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen.
Lorenz hatte Vaters Entscheidungen immer nachvollziehen können. Natürlich,
sie waren hart, immer darauf bedacht, die Familie zu schützen und ihnen ein gutes
Leben zu ermöglichen. Doch mit dieser Aussage hätte er nie gerechnet. Vielleicht
hatte der Tod der Männer etwas in ihm zerbrochen, was Tillmann Menschlichkeit genannt
hätte. Oder gerade dieses Scharmützel hatte ihm die Augen geöffnet, wie weit man
gehen würde, um die Menschen, die man liebt, zu beschützen.
»Danke«, hauchte er. Doch das Gesicht des Vaters blieb steinern. Wenige
Sekunden schaute Lorenz seinem Vater hinterher, dann ergriff er seine kostbar verzierte
Waffe und den Säbel und ging eilig davon.
Immer schneller und fließender wurden seine Bewegungen, wenngleich
bei jedem Schritt ein Schmerz durch seine Knochen fuhr, der in seinem Kopf seinen
qualvollen Höhepunkt fand. Maximilian, Jakob und Ratte hatten Mühe, ihn einzuholen.
»Lorenz! Warte!«, schrie Maximilian, während er ihn an der Schulter
zog.
»Wir müssen uns sputen, Max!«
Nur mit ganzer Kraft konnte Maximilian ihn zwingen, stehen zu bleiben.
Die Brüder schauten sich in die Augen.
»Hast du dir schon einmal überlegt, was passiert, wenn wir es wirklich
schaffen sollten?«
Lorenz wendete seinen Blick ab, wollte sich losreißen, doch Maximilians
Griff blieb ohne Erbarmen.
»Hast du es dir überlegt, Lorenz? Sie werden auch uns jagen, uns alle.«
Mit dem Arm zeigte er in Richtung der Schmiede. »Sie werden uns jagen und töten.
Du hast sie gesehen, Lorenz. Du hast gesehen, was aus den Menschen werden kann.«
»Um was bittest du mich, Max?« Gebannt funkelte
Lorenz ihn an. Sein Bruder sprach die Worte leise, sie waren nur für ihn gedacht.
Seine Stimme stockte mehrmals.
»Ich weiß, was du für sie empfindest, aber du solltest dich auch um
uns sorgen. Um Mutter und Vater, um Siegfried, Amelie und Marie.«
»Um was bittest du mich, Max?«, wiederholte Lorenz.
Seine Stimme war nun fordernder, als ihre Köpfe sich einige Zoll näherten.
Die Lippen aufeinandergepresst, atmete Maximilian aus, er wollte diese Worte nicht
aussprechen, doch er musste, er konnte nicht anders.
»Wenn die Meute Antonella noch nicht gefunden
hat, dann helfen wir dir, sie unerkannt zur Schmiede zu bringen. Sollte sie aber
umringt sein von ihnen, können wir nichts mehr für sie tun. Wenn die Hessen in wenigen
Tagen abziehen, was meinst du, wen die Menschen für dieses Unheil verantwortlich
machen? Ihr Hass wird sich auf schreckliche Weise entladen, und ich werde nicht
zulassen, dass irgendjemand meiner Familie Schaden zufügt. Ich verlange, dass du
sie dann ihrem von Gott gegebenen Schicksal überlässt und mit uns zurückkommst.
Dies ist für uns alle besser.«
Lorenz’ Mund zitterte vor Wut. »Deiner Familie?«, murmelte er.
Dann wurde seine Stimme laut und giftig. »Das kann nicht Gottes Wille
sein«, zischte er. »Komm mit mir, so weit du willst. Doch ich werde das tun, was
ich für richtig halte.«
»Ich ebenfalls!«
Ratte und Jakob standen außer Atem neben den beiden und mussten einen
Kloß herunterschlucken. Sie dachten, dass zwischen den Brüdern jeden Moment der
erste Schlag fallen musste. Sie funkelten sich an, fixierten sich, während ihre
Hände sich zu Fäusten ballten.
»Also, kommst du jetzt mit?«, drückte Lorenz zwischen schmalen Lippen
heraus.
Zaghaft nickte Maximilian. »Ich bin dein Bruder«, flüsterte er.
Noch einige Sekunden vergingen, dann wandelte sich der Blick der beiden.
Gemeinsam drehten sie sich um und hasteten dem Tor entgegen.
Als sie
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