Die Hexe von Hitchwick
die Kreide. Ihre Hand hatte sich so fest um die Kreide geschlossen, dass ein leichter Abdruck in der Handfläche zu sehen war.
Ihr Oberkörper verkrampfte sich, wurde steif wie ein Brett, als sie langsam in die Knie ging und sich über das Pentagramm beugte. Ihr Körper war im Flucht-Modus, was überaus unpraktisch war, wenn man sich an eine filigrane Arbeit machen musste.
„In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti“, flüsterte sie, während sie die Kreide auf den Asphalt drückte und zu zeichnen begann.
Sofort reagierte das Pentagramm, das Schimmern wurde zu einem Glühen. Sie musste sich beeilen und darauf achten, dass alle Seiten geschlossen waren, es durfte nicht die kleinste Lücke entstehen. Dieses Zeichen sollte den Durchgang zur Unterwelt versiegeln, auf keinen Fall sollten noch mehr ungebetene Gäste hierher gelangen. Das Blut rauschte in ihren Ohren, Furcht keimte in ihr auf, die sie versuchte zu unterdrücken. Zitternde Gliedmaßen würden die Erledigung ihrer Aufgabe nur noch mehr in die Länge ziehen. Zum Glück blieben ihre Hände vollkommen ruhig, es schien als führe der Rosenkranz sie mit Vertrauen und Sicherheit. Insgeheim hatte Sug gehofft, der Rosenkranz von St. George hätte die Macht den Durchgang zu verschließen, obgleich ihr bewusst gewesen war, dass dies nicht der Fall sein konnte. Manchmal konnte man Feuer mit Wasser bekämpfen, manchmal brauchte man Feuer, um ein Feuer zu löschen. Immerhin gab er ihr ein gewisses Maß an Sicherheit, einer trügerischen Sicherheit.
Es fehlte noch ein letzter Strich um das Pentagramm zu beenden, da flammte das Zeichen des Durchgangs auf. Es stieß in Sugs Richtung, zerfloss, bildete eine blutrote, pulsierende Oberfläche, die sich über einem schwarzen Loch befand. Gleich einem Tornado wirbelte die Schwärze im Inneren umher, gewillt, begierig danach lechzend, alles zu verschlingen und mit sich fortzutragen in die dunkle Unendlichkeit. Der Instinkt zu flüchten hatte auf solch ein Vorkommnis gelauert und sofort die Kontrolle übernommen. Sugs Oberkörper hatte sich nach hinten geworfen, ihre Hände schnellten in dieselbe Richtung, doch noch bevor sie den Boden berührten, um den Sturz abzufangen, verschlang sie das blutrote Pulsieren. Es blieb ihr nicht einmal die Zeit zu schreien, so schnell hatte es sich über ihren Kopf, ihren Oberkörper gestülpt. Ihre Arme ruderten noch, ihre Hände suchten verzweifelt nach einem Halt, während die wirbelnde Dunkelheit ihren Körper mit sich hinab zog. Die wabernde Oberfläche senkte sich, näherte sich dem Asphalt, nur ihre rechte Hand und der Rosenkranz waren noch zu sehen. Dieser heilige Gegenstand war das Einzige, was sie noch in dieser Welt hielt, doch langsam rutschte er von ihrem Handgelenk, über ihren Daumen, ihre Fingerknöchel, die Nägel. Mit einem leisen Klingen fiel der Rosenkranz auf die Straße. Die rote Masse zog sich auseinander, bildete wieder das Zeichen des Durchgangs. Das Glühen wurde schwächer, bis es nur noch ein leichtes Schimmern war, das man in der Dunkelheit kaum sehen konnte.
Ein Rascheln durchzog die Stille, die sich wieder über die Straße gelegt hatte. Das Geräusch kam aus einem nahegelegenen Gebüsch, die letzten braunen Blätter rieben aneinander, die Äste knackten leise, während sich etwas hindurch bewegte. Ein kleiner befellter Kopf mit spitzen Ohren erschien, dicht gefolgt von einem schlanken, grazilen Körper.
Eine Katze hatte sich ihren Weg durch das Gebüsch gebahnt. Nichts Ungewöhnliches, nur eine Katze auf ihrem abendlichen Streifzug durch das Dorf, allerdings schien diese ein ganz konkretes Ziel zu haben. Bevor sie vom Bürgersteig trat, schaute sie die Straße entlang, nur wenn Freigänger aufmerksam waren, hatten sie eine Chance, auch mit Straßen und Autos in ihrer Nähe zu überleben. Gemächlich überquerte sie die Straße bis zur Hälfte, vor dem Rosenkranz blieb sie stehen.
Die widerstreitenden Gefühle machten Morgan arg zu schaffen. Natürlich hoffte sie, dass Sug schnellstmöglich ihre Aufgabe erledigen würde, ohne Komplikationen. Auf der anderen Seite brauchte sie Zeit, Zeit, in der sie niemand störte.
Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen zog sie ein Notizpapier aus ihrer Gesäßtasche und warf einen Blick auf das Symbol. Die Idee war ihr während der Fahrt nach London gekommen, hatte sich festgesetzt und zu einem Plan manifestiert. Sie war sich sicher, dass es sich bei dem Schatten um Jasmine handelte und sie würde sie befreien.
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