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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Stimme verlor sich.
    »Und dann?« drängte ich, da ich dachte, er könnte mein Schweigen als mangelndes Interesse deuten.
    D'Urbec blieb lange Zeit still. Dann sagte er ruhig: »Sie haben ihn im Stall an einem Dachbalken hängend gefunden. Er hinterließ einen Brief des Inhalts, er fürchte weder Himmel noch Hölle, denn der Tod sei nichts als Nicht-Sein. Es war ein Skandal. Sie wollten ihn nicht bestatten.«
    »Klingt wie ein Mann nach meines Vaters Herzen.« D'Urbecs flinker Blick schien mich geradewegs zu durchbohren. Ich holte Atem und wich zurück. Er zog die Schultern hoch und sagte beiläufig: »Vater wäre ein reicher Mann, wenn er nur ein Quentchen Sinn fürs Geschäft besäße. Er baut die besten Uhrwerke im ganzen Königreich. Aber er verbringt seine Zeit damit, sich über verlorene Titel zu grämen, seinen Ahnen nachzuspüren, leichtgläubige Gönner für seine phantastischen Pläne zu suchen und davon zu träumen, für eines seiner Vorhaben eine Pension und einen Titel verliehen zu bekommen. Olivier, mein älterer Bruder, ist es, der alles zusammenhält. Nach meinem Dafürhalten versteht er sich sogar besser als mein Vater auf das Entwerfen von Mechanismen, und er ist entschieden praktischer. Somit ist es nur natürlich, daß Mutter, als sie hörte, im Hafen von Toulon sei eine infernalische Apparatur mit einem ungewöhnlichen Uhrwerkszünder entdeckt worden, in Kenntnis der Neigungen der Familie ihre Schlüsse zog. Das ist alles.«
    »Neigungen? Welcher Art, außer heimliche frondeurs und Ketzer zu sein?«
    »Ich würde die reformierte Religion kaum als Ketzerei bezeichnen. Überdies bin ich dank Onkel vermutlich ein besserer oder zumindest ein frischerer Katholik als Ihr. Onkel steckte die Prämie für die Konvertierung in gute Werke und bestand darauf, daß ich es ihm gleichtat.«
    »Und da Ihr ohnehin an nichts glaubt, war es nicht von Belang, nicht wahr?«
    »Ich glaube an eine Anzahl Dinge, Mademoiselle Pasquier. Wahrheit, Gerechtigkeit, die Mächte des vernunftbestimmten Denkens –«
    »Man macht sich nicht gerade beliebt, wenn man an diese Dinge glaubt. Kein Wunder, daß Ihr stets in Schwierigkeiten seid. Es genügt als Familienfluch, solche Dinge zu denken.«
    »Ach, was heißt hier Familienfluch! Ihr habt entschieden zu viel auf Mutter gehört. Ihr solltet es besser wissen. Meine Güte, sie liebt das Dramatische noch mehr als ihre Schwester. Sie wird nicht auf Bälle eingeladen und bekommt nicht den besten Platz in der Kirche – aber sie kann wenigstens die Heldin eines von Krisen geschüttelten Lebens sein. Jede Frau im Umkreis von zwanzig Meilen um Aix ist erpicht darauf, die jüngsten Neuigkeiten von Madame d'Urbec zu hören, die durch einen schrecklichen Familienfluch zur Märtyrerin wurde.«
    Merkwürdig, wie er es bewerkstelligte, die Erwähnung der Fronde zu vermeiden und das Thema zu wechseln. Dies mußte eine Familie von Rebellen und Revolutionären sein. Wer weiß, welch alten Groll sie verfolgten, gar bis zum Tode? So sind sie, die Bewohner des Südens. Heißblütig und unpraktisch. Das liegt am Akzent. Nun war es an ihm, die Augen abzuwenden. Er wußte, daß ich im Bilde war. Das ist das Problem mit intelligenten Männern. Manchmal ist mit den Dümmeren leichter auszukommen. Keine versteckten Botschaften. Er sah wirklich nicht schlecht aus, wenn einem der Typus gefiel. Nicht groß, schlank, hellhaarig und elegant, sondern ein stämmiger, kräftig aussehender, nahezu bärenstarker Mann mit breitem Brustkorb und starken Armen. Man konnte ihn sich nicht in Seide oder tanzend auf einem Ball vorstellen. Seine Augenbrauen waren zu wuchtig, seine Miene zu grimmig, sein Kinn zu entschlossen, um elegant zu sein. Seine Backenknochen, zu breit und eckig, hatten etwas Fremdländisches, nicht Französisches – nicht eben altes Blut. Seine Augen beleidigten durch einen eindringlichen Blick. Er war von der Art, welche Höflinge ängstigt, ohne daß es ihnen bewußt wird, und hätte er in ihren Kreisen verkehrt, würden sie es ihm vergolten haben, indem sie hinter seinem Rücken sagten: »Oh, d'Urbec – ein gewisser je ne sais quoi – eine Spur bourgeois, fremdländisch, womöglich gar – bäurisch. Ein Tatar, mein Lieber, entschieden zu wild.« In diesem Moment dauerte er mich. Ich weiß nicht, warum. Ich nahm meinen Fächer zur Hand, um meine Verwirrung zu verbergen, und wedelte damit vor meinem Gesicht.
    »Verflucht«, sagte er leise.
    »Was fehlt Euch?« fragte ich. »Wünscht Ihr noch

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