Die Hexe von Paris
etwas Brühe aus Kälberfüßen? Sie will in dieser Hitze nicht gelieren.«
»Was mir fehlt? Alles ist fehlgegangen. Ihr habt Euch in Lamotte vergafft. Alle Frauen vergaffen sich in ihn. Und ein Mann kann einfach kein Held sein, wenn seine Mutter erscheint. Ich dachte, hier hätte ich endlich Glück. Aber die erste Regel für einen Helden lautet, er muß sich selbst schaffen. Helden kommen nicht von geschäftigen Müttern. Lamottes Mutter, die würde nicht von ihrem Strickzeug ablassen, wenn ihm etwas Derartiges zustieße, höchstens, um in der Kirche eine Kerze anzuzünden. Aber meine Mutter, sie wirft sich auf alles. So hat er sich verrechnet. Die ganze Sache verpatzt. Und jetzt habe ich meine Chance bei Euch vertan.«
Mir war seltsam im Herzen, doch der Schmerz des Dahinschmelzens erschreckte mich, und ich floh vor diesem Gefühl. Dann überfiel mich die andere Angst. Die schweren Stiefel auf der Treppe, Onkels bestialischer Geruch, die Schande. Sei vernünftig, Geneviève, sagte ich mir, um der Panik Einhalt zu gebieten. Dieser Mann ist anständig. Er ist dir zu Dank verpflichtet. Und er sagte, er habe seine Chance vertan – das bedeutet, er achtet dich, er denkt, daß du etwas wert bist – das ist etwas anderes.
»Woran denkt Ihr?« fragte er leise, und ich sah, daß er die widerstreitenden Gefühle in meinem Gesicht still abmaß. Ich weiß nicht, warum, aber ich brach in Tränen aus.
»Ich wünschte, meine Mutter würde kommen und Suppe kochen, wenn ich krank bin, nur ein einziges Mal«, sagte ich weinend.
Seine Stimme war so leise, daß ich sie fast nicht hörte.
»O Geneviève, wäret Ihr mein, ich würde für Euch sorgen.«
Ich hatte Angst, ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich sorge selbst für mich – und ich habe heute geschäftliche Verpflichtungen«, hörte ich mich sagen, indes ich aus der Kammer floh.
Schon am nächsten Tage, als ich nach einem langen schwülen Nachmittag von einem Besuch am Stadtrand nach Hause zurückkehrte, lag auf dem Tisch im Erdgeschoß eine Schachtel mit einem riesigen Gebinde aus gelben Rosen. Alle meine Bediensteten hatten sich in dem schattigen unteren Stockwerk eingefunden. Die Vorhänge hatten sie zum Schutz vor der alles durchdringenden Hitze zugezogen. Mustafa fächelte sich, während d'Urbec in Ermangelung eines Schlafrockes ein Bettlaken wie eine Toga um sich gewickelt hatte. Mit großen Gesten ließ er sich vor den Versammelten über die Philosophie von Marcus Aurelius aus. Gilles saß neben der Küchentüre auf einem niedrigen Schemel und polierte das Silber, und Sylvie hatte meinen zweitbesten Lehnstuhl mit Beschlag belegt, wo sie Strümpfe stopfte, während sie d'Urbecs Ausführungen über die Quellen menschlichen Glückes lauschten.
»So, es hält nicht nur keiner für nötig, mir die Türe zu öffnen, sondern Ihr seid alle – oh, was ist das?« Ich brach die zornige Lektion ab, als ich das kleine Blumengebirge erspähte. Sylvie erhob sich hastig vom Lehnstuhl und zog sich einen Schemel aus der Küche heran.
»Wir haben sogar davon Abstand genommen, die Karte vor Eurer Rückkehr zu lesen«, verkündete d'Urbec.
»Das will ich meinen«, erwiderte ich, und indem ich meine Handschuhe wieder anzog, nahm ich vorsichtig die gravierte Karte aus der Schachtel und schüttelte sie sachte, ehe ich sie las. Ich merkte, daß d'Urbecs Augen nichts entging. »Oh, uff, Brissac. Die Neuigkeit spricht sich wahrlich geschwind herum.« Ich sah Sylvie streng an, und sie blickte so starr auf das Stopfei, als wolle ihm jeden Augenblick ein Küken entschlüpfen. »Die lavendelblauen Bänder – sieht aus wie eine Arbeit von La Pelletier, nicht wahr? Dann ist es harmlos. Diesmal wird es ein Liebespulver sein.« Ich fuhr mit einem behandschuhten Finger über die gelben Blütenblätter. Einige grüne Kristalle blieben an meinem Handschuh kleben. »Widerwärtiger Kerl«, sagte ich. »Sylvie, halt dir ein nasses Tuch vor Mund und Nase und schüttele die Blumen draußen vor der Hintertüre aus, bevor du sie in die Vase stellst. Ich habe gelbe Rosen gern, daher werde ich sie nicht fortwerfen.«
»Ihr scheint sehr viel mehr von der Welt zu wissen, Marquise, als das kleine Mädchen, das heimlich Petronius las.«
»Wir leben und lernen, Monsieur d'Urbec«, sagte ich, indes ich Sylvie zusah, wie sie mit den Blumen durch die Küche stürmte. »Liebespulver, Erbschaftspulver, Lebewohlsträußchen, lieblich parfümierte italienische Handschuhe; die elegante Welt ist heutzutage nichts für
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