Die Hexe von Paris
nicht, wo Ihr gewesen seid. Mich kümmert, wohin Ihr geht. Und das wird geradewegs in die Hölle sein, wenn Ihr nicht besser achtgebt, was Ihr tut.« Ich war gekränkt. Wer war er, mir das zu sagen? Ein Fälscher, ein Galeerensträfling, ein nouvelliste, der nicht einmal ein zweites Hemd besaß. Ich war es, die ein Haus hatte, Geld, einflußreiche Freunde.
»Oh, là, là, Monsieur d'Urbec, so glaubt Ihr nun an die Hölle?« Ich machte mich auf seinen Zorn gefaßt. Doch sein spöttisches Lachen unterbrach meine empörten Gedanken.
»Ihr mögt klug sein, dennoch seid Ihr ein rechtes Kind!« rief er aus. »Eure flinken kleinen Gedanken sind leicht zu ergründen. Oh, bedeckt diese entrüsteten grauen Augen, wenn Ihr nicht wünscht, daß ich darin lese.« Und mit sorgfältiger Würde korkte er das Tintenfaß zu, stand auf und schlug das Bettlaken um sich wie den Purpur eines Herrschers. Ohne die Augen von meinem Gesicht zu wenden, stellte er Tinte und Papier an genau die Stelle in dem verzierten Schränkchen zurück, wo ich sie herausgenommen hatte. Sein seltsames kleines Lächeln schien zu sagen, Ihr denkt, ich bin blind, weil ich ein Mann bin, doch meine Augen sehen alles, auch wenn Ihr Euch einbildet, ich sei zu sehr von mir selbst eingenommen, um irgend etwas wahrzunehmen. Wieder die Gedankensprache. Ich hasse es, geistig unterlegen zu sein. Nur weil ich drei Jahre unter zwanzig bin und er ein halbes Dutzend Jahre darüber sein mag, meint er, mir sein Denken aufzwingen zu können? Er lehnte lässig an dem Schränkchen und sah mir spöttisch in die Augen.
»Ich kann keine Bilder im Wasser lesen, Athena, aber ich mache Euch eine Prophezeiung. Bevor Ihr mich bekommen werdet, müßt ihr erkennen, daß Lamotte Euch geistig nicht gewachsen ist.«
»Was macht Euch denken, ich wolle überhaupt einen von Euch?« sagte ich verächtlich.
»Oh, Athena, wann werdet Ihr je begreifen, daß Ihr nicht der einzige intelligente Mensch auf Erden seid? Ihr seid verrückt nach Lamotte seit dem ersten Tag, als Eure Augen ihn erblickten – ich war zugegen, und ich erinnere mich gut, wie Ihr errötet seid. Ihr wart der Menge voraus, das halte ich Euch zugute, immerhin ging er damals nicht so gut gekleidet wie heute. Er ist ein anständiger Charakter, ein wahrer Freund, obwohl er mich mit seinen Weibergeschichten erzürnt, aber Ihr seid zu klug für ihn. Wenn er erst entdeckt, wie klug Ihr tatsächlich seid, wird er entsetzt sein, und Ihr werdet gelangweilt sein.«
»Sprecht Ihr für Euch selbst, Cato. Ich bin glücklich, wie ich bin.« Die Nennung seines alten Spitznamens ließ ihn zusammenzucken, wie ich es beabsichtigt hatte.
»Athena, hat Euch schon jemand gesagt, daß Ihr ein boshaftes kleines Ding seid?«
»Primi Visconti.«
»Das kann ich mir denken. Man muß schon jemand sein, um es zu merken, nicht wahr? Aber Ihr werdet das Spiel, die unwissenden Bläßlinge zu täuschen, überholt finden. Primi kann sich zur Ruhe setzen. Er hat einen Titel, wenn auch nur einen italienischen, und auch Bildung. Er kann eine amtliche Pension erhalten, wenn er den König zufriedenstellt. Aber Ihr – Ihr seid eine Frau, und dieser Weg steht Euch nicht offen. Ihr werdet mehr und mehr aufs Spiel setzen, um Eure Kräfte zu erproben, bis Ihr auf etwas trefft, das Euch vernichten wird. Dies war das Los intelligenter Frauen, soweit ich es beobachtet habe. Eine Frau mit Verstand trägt einen Fluch mit sich; nirgendwo ist ihr gestattet, ihren Verstand zu gebrauchen, und so wird sie wüten, bis sie sich selbst in Brand setzt.«
»Ich kenne eine Menge intelligenter Frauen – und alle sind sehr erfolgreich. Ihr könntet sehr wohl dasselbe von einem intelligenten Manne sagen, der in der falschen Klasse der Gesellschaft geboren ist.«
»Ich vermute, hierin könntet Ihr recht haben, Athena, aber es widerlegt meinen Standpunkt nicht. Was kann eine reiche Frau anderes tun als sticken und bei Predigten ohnmächtig werden? Was gibt es für eine arme anderes als Plackerei? Aber Euch, Euch sehe ich mit allen Kräften eines lebendigen Geistes die Vernichtung herausfordern. Was wollt Ihr tun, wenn Ihr Königin seid, kleines Mädchen, außer noch größere und schrecklichere Triumphe erstreben als jene, die Euch vorausgingen?«
»Woher wißt Ihr von der Königin?«
Er setzte sich mir gegenüber an meinen Wahrsagetisch und stützte die Ellenbogen auf das kabbalistische Tuch. »Ich komme herum, Athena. Und entgegen der landläufigen Meinung druckt ein nouvelliste
Weitere Kostenlose Bücher