Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
ihre Gesundheit«, erklärte sie strahlend.
    »Mein lieber Chevalier, wie edel von Euch, zu Besuch zu kommen.« D'Urbecs Tante, die nicht zurückstehen wollte, war hinter ihm eingetreten. Dann erschien Sylvie und begann, die Möbel abzustauben – tief unten, wo die Sicht auf Lamottes berühmte Waden besser war. »Was für entzückende Schuhe!« rief d'Urbecs Tante. »In Orléans sehen wir etwas so Elegantes freilich kaum.« Lamottes Schuhe mit den hohen roten Absätzen und den seidenen Schleifen übertrafen gar noch die gefeierten Waden. Er war in gelbe Seide gekleidet, mit einem dicht fallenden Band aus erlesener Spitze. Ein breiter Federhut saß auf seiner unermeßlich kostspieligen Perücke aus dicht gelocktem, hellblondem Haar.
    »Ich wollte nur schnell hereinschauen, da ich in der Stadt bin, und sehen, wie dein Befinden heute ist – ich bin im Augenblick überaus beschäftigt. So viele Verpflichtungen – man probt mein neues Stück für die Aufführung am Hofe, und ich bin auf dem Wege nach Fontainebleau, um alles zu überwachen. Die letzte leichte Komödie der Saison, bevor der Winter der Tragödien anbricht. Dann wird die Bühne von ungemein trübseligen Versen und tragischen Königinnen beherrscht. Allerdings wird gemunkelt, daß Racine etwas plant, das alles Dagewesene in den Schatten stellt. Wir warten und warten, und Racine liest hie und da ein wenig in den Salons, doch immer Unvollendetes. Ich sage, er hat sein Genie erschöpft. Nein, die Welt erwartet meine nächste Tragödie ohne Rivalen –« Er blickte zu den Frauen, die ihn bewundernd ansahen, und ein kleines selbstzufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Sage mir, d'Urbec, was ist da draußen in der Kiste? Sie sieht aus wie eine von Griffons.«
    »Sie ist von ihm. Sein letzter Warenbestand. Er verläßt uns, weißt du.«
    »Ich hörte es, ich hörte es. Laß mich meine Neugierde stillen und nachsehen, was er dir hinterlassen hat.« Der Troß von Frauen folgte ihm.
    »Der Mann ist ein verdammter Magnet für Frauen«, meinte d'Urbec zu mir, als ich noch ein wenig verweilte.
    »Aha, Flugschriften«, vernahmen wir durch die offene Türe. »›Madame de Brinvilliers‹ – abscheuliche Verse. ›Mann erschlägt sich und seine Familie vor den Augen des Steuereintreibers‹ – die ist alt. Oh, hier ist eine neue – infernalische Apparatur im Hafen von Toulon entdecke – eine Verschwörung von Verrätern, etc. ›Genialischer selbst auslösender Uhrwerkzünder‹ –« Es folgte ein matter Aufschrei der Frauen.
    »O mein Gott. Dieser übereifrige Lamotte –« D'Urbec versuchte aufzustehen. Er zuckte zusammen und überlegte es sich anders. »Geht, kümmert Euch um Mutter, Geneviève – ehe es zur Katastrophe kommt. Sagt Lamotte, er möchte schweigen und diese Schrift vor ihr geheimhalten.«
    Ich eilte in mein Schlafgemach und fand Lamotte auf dem Bett sitzend vor, wo er der aufmerksamen Frauenschar heiter die Einzelheiten einer Verschwörung gegen die Flotte Seiner Majestät im Hafen von Toulon vorlas. Aber Madame d'Urbec war totenbleich, ihre Hände waren fest verschränkt. Lamotte, der ihre Gefühle mißdeutete, rief: »Nur keine Angst, Madame, des Königs Polizei wird die Verschwörer aufspüren und unverzüglich hinrichten.«
    »Genug, Lamotte, Madame d'Urbec ist von zuviel Arbeit geschwächt. Madame, setzt Euch hierher –«
    »Oh, guter Gott, er hat es getan. Er ist der einzige, der imstande wäre – Olivier, oh, ich muß zu ihm –«
    »Aber das ist ja entsetzlich«, rief Lamotte. »He, Lakai, etwas Wein für Madame – sie ist ganz bleich geworden.« Ich machte mir diesen Augenblick zunutze, um die Flugschrift, die er aus der Hand gelegt hatte, wieder in der Kiste zu verschließen.
    Als Gilles den Wein brachte, sagte ich ruhig: »Gilles, nimm die Kiste und bringe sie – du weißt schon.«
    »Sehr wohl, Madame«, sagte er und hievte das schwere Monstrum hoch, um es in den Keller zu schaffen, wo sich hinter den Weinflaschen eine Geheimtüre verbarg.
    »Wir müssen sogleich packen, Marie-Claude. Die nächste Postkutsche – wenn es nur nicht zu spät ist.« Madame d'Urbecs Stimme war schwach; halb ohnmächtig lag sie in meinem besten Lehnstuhl, und ihre Schwester fächelte ihr Luft zu.
    »Mesdames, ich biete Euch die Kalesche und die Diener meiner Gönnerin an, um Euch zur Postkutsche zu bringen, zu jeder Stunde, die Ihr nennt. Das ist das mindeste, was ich für die ehrenwerte Mutter eines lieben Freundes tun kann«, sagte Lamotte

Weitere Kostenlose Bücher