Die Hexe von Paris
Toilettentisches wurde zu einem gewohnten Gegenstand, nicht anders als ein Fingerhut oder eine Schachtel mit Schönheitspflästerchen. Und so erschien ich eine Woche später mit eingesunkenen Augen zu einem amüsanten Abend bei der Duchesse de Bouillon. Mit mir war ein italienischer Horoskopsteller geladen. Die Damen, alle gewillt, sich in Erstaunen setzen zu lassen, umringten die Herzogin in ihrem vergoldeten Lehnstuhl, die Hündchen zu ihren Füßen. Marquis de Crillon hatte an diesem Abend Primi Visconti mitgebracht. Als ich die Gesellschaft betrachtete, sah ich die Duchesse de Vivonne mit einer Dame lachen, die mir den Rücken zukehrte. Mit einem Gefühl des Unbehagens erkannte ich Duc de Vivonne an seiner schweren blonden Perücke und an seinem scharfen Profil.
Der Klatsch war geistreich und erging sich in einer boshaften Schilderung des Kampfes um den Vorrang zwischen Renaudot, dem Leibarzt des Dauphin, und La Reynie. »Es ist wirklich nur eine Frage von Esel und Langohr«, bemerkte ein Herr, »da Renaudot der Oberaufseher über die Hoflatrinen und La Reynie dasselbe für die Stadt Paris ist!« Die witzige Bemerkung wurde mit allgemeiner Heiterkeit quittiert. Dann las Primi Physiognomien und verkündete, Marquis de Manicamp habe die »Visage eines Atheisten«, womit er abermals alle zum Lachen brachte: Manicamp war sowohl ein berüchtigter Gotteslästerer als auch ein Wundarzt, der die italienische Seuche behandelte.
»Nun, Primi, was sieht des Königs Lieblingswahrsager in meiner Visage?« Vivonnes verbindliche Stimme enthielt einen Anflug von Bedrohlichkeit.
»Einen Wüstling«, erwiderte Primi heiter, und die Gesellschaft applaudierte. Der italienische Horoskopsteller stand gänzlich im Schatten; Primis leises, hämisches Lachen ließ ihn vor Ärger über und über erröten. Auch ich hatte Erfolg, und ich sah Primi ein langes Gesicht machen, als meine Lesungen im Glase Laute des Erstaunens und Beifall hervorriefen.
»Kommt, Monsieur, auch Ihr solltet sehen, was die bekannteste Wahrsagerin von Paris Euch zu sagen hat«, bedrängte Primi den Duc de Vivonne. Der Teufel sollte diesen Primi holen. Er verstand es zu gut, in Gesichtern zu lesen, und wußte, daß ich Vivonne nicht in meiner Nähe haben wollte. Er wurde damit belohnt, daß mein Witz mich im Stich ließ, als Vivonne seine Hand auf das Glas legte.
»Ihr werdet bald eine neue Mätresse haben«, sagte ich leise, mein Gesicht so starr wie mein eisernes Rückgrat. Zum Glück wurde auch das als witzig aufgefaßt, und die Gesellschaft lachte aufs neue.
»Was ist Euch geschehen, kleine Marquise, daß Ihr mit einemmal so schweigsam wart?« Primi holte mich auf der Treppe ein, als ich mich am Ende des Abends verabschiedete. Sein Blick, neugierig wie der eines jungen Welpen, entwaffnete mich.
»Ich habe Blut im Glase gesehen«, erwiderte ich wie betäubt. »Er hat sie getötet.« Ich fühlte etwas Nasses mein Gesicht hinabrinnen.
»So, nun weiß ich ganz sicher, daß Ihr eine Fälschung seid, meine liebe Marquise de Morville. Währet Ihr wirklich einhundertfünfzig Jahre alt, würdet Ihr nicht um Fremde weinen.« Ich wandte mein Gesicht ab und wollte mich entfernen.
»Nein, nein, bleibt noch einen Moment, und ich werde beweisen, daß ich immer noch der beste Wahrsager in Frankreich bin.« Er zog mich am Ärmel und richtete seine braunen Augen auf mich. Seine Stimme war sanft. »Ich will Euch sagen, was ich in Eurer Physiognomie sehe: Ihr seid verwegen und schlau, Kleine, doch es gebricht Euch an der Härte des Herzens, die erforderlich ist, um eine der großen Abenteuerinnen der Welt zu sein.«
»Er hat sie zum Comte de Longueval geschickt. Ich muß wissen, wo man sie abgeladen hat.« Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er alles wußte.
»Zum Comte de Longueval? Das ist sehr schlimm, wenn sie eine Freundin von Euch ist. Nehmt meinen Rat, eine Suche wie diese solltet Ihr nicht allein unternehmen. Ich würde Euch begleiten, kleine Marquise, wenn ich könnte, aber ich bin ein Schoßhund. Ich bin mit Crillon gekommen und muß mit ihm gehen. Wehe dem Kerl, der mich um mein väterliches Erbteil gebracht und als Gaukler für die Erlauchten in die Welt geschickt hat! Wenn ich aber auf andere Weise behilflich sein kann, dann wendet Euch an mich.« Er wirkte glatt und geschliffen, und ich wußte nicht, ob ich ihm trauen konnte. In einer Minute von einer Gefühlsregung entflammt, in der nächsten vom Gegenteil. So italienisch. Ich wagte es
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