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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Karaffe und zwei Gläser heraus.
    »Ich habe außer Euch keine Menschenseele, um über sie zu sprechen«, sagte ich, als ich das Glas entgegennahm. »Wer sonst könnte ihre Güte, ihren Liebreiz würdigen? Ihre Schönheit war ihr Fluch.« Der Branntwein war stark, und ich mußte husten. Er füllte unsere Gläser aufs neue.
    »Nicht ihre Schönheit, nein, ihre Familie. Euer Bruder, ich bitte um Pardon, Mademoiselle, ist ein Ungeheuer mit einem Herzen aus Stein.« Er blickte in sein Glas, als könne er auf seinem Grunde Bilder sehen. »Solche Menschen gibt es häufig heutzutage. Hätte ich die Feder von Molière, ich könnte ihn komisch gestalten. Das ist die Rolle der Kunst, nicht wahr? Ungeheuer komisch darzustellen, damit wir sie ertragen können, und unsere eigenen billigen Kümmernisse zu großen Tragödien zu gestalten, damit andere mit uns weinen.« Er blickte zu dem winzigen Fenster, als sehe er in eine andere Zeit: »Zwei Schwestern, wie weiße Rosen, blühten an einem düsteren, unnatürlichen Ort. Ich sehe Eure hübschen kleinen Gesichter vom Fenstersims spähen – Ihr zogt den Vorhang zurück, nur ein Stückchen – ich habe sie mir immer oben im Turm vorgestellt, wo sie, Romanzen lesend, auf ihren Königssohn wartete.« Er leerte sein Glas abermals und schenkte auch mir wieder ein. »Sagt mir, hat sie Romanzen gelesen?«
    »Ja«, sagte ich und versank in dem weichen Lehnstuhl. »Und ich las ihr vor, wenn sie stickte.« Die Tränen rannen mir übers Gesicht.
    »Und wenn ich im Sommer durch das geöffnete Fenster das Klavichord vernahm und die süße Stimme singen hörte, war sie es?«
    »Ja, sie hat Musik geliebt. Sie summte Weisen, wenn sie nähte. ›Wenn ich reich bin‹, sagte sie immer, ›lasse ich jeden Abend Violinen aufspielen.‹« Lamotte hatte sich etliche Male wieder eingeschenkt. Er saß vornübergebeugt auf dem unordentlichen Bett, den Kopf in die Hände gestützt, und schluchzte.
    »Für sie hätte ich reich sein können. Für sie hätte ich alles sein können. Violinen. Mein Gott, sie hat nicht einmal eine Grabstätte.« Er sah zu mir hinüber, sein Antlitz fleckig von Tränen. »Sagt mir, hat sie jemals meine Briefe gelesen?« Bedrückt von seinem und meinem Kummer, log ich.
    »Sie hat sie stets am Busen aufbewahrt, um sie oft lesen zu können.«
    »Meine Süße, meine Angélique. Es hat nicht sein sollen.«
    »Angélique?«
    »Mein Engel – so nannte ich sie in meinen Träumen. D'Urbec hatte unrecht. ›Wenn ich die Wahl hätte‹, sagte er, ›ich würde die jüngere Schwester nehmen. Sie hat einen schärferen Verstand und ein aufrichtiges Herz.‹ Stets so selbstsicher. Aber diesmal hatte er unrecht. Ich habe ihm gesagt, daß er sich irrte, ich habe es immer gewußt. Angélique war aufrichtig im Herzen, trotz allen Leides, das sie erdulden mußte. Ein grausames Schicksal hat uns getrennt, ein Zufall der Geburt. Mein Engel!« Wieder dieser d'Urbec. Warum mußte er überall sein, warum sogar meine Trauer stören? Die Erinnerung an d'Urbecs Schweigen, seinen scharfen Blick, seine zynische Logik war wie ein Schauer eisigen Wassers. Lamottes leidenschaftlicher Erguß, seine theatralischen, in einem Augenblick echter Trauer nicht ganz so ausladenden Posen waren von jener verrückten Galanterie, welche einer Frau das Herz erwärmt. Ich erhob mich, um mir selbst aus der Karaffe auf dem Tischchen einzuschenken. Ich konnte mich kaum halten, als ich zum Lehnstuhl zurückkehren wollte.
    »Tröstet mich, Geneviève, mir ist so kalt, als läge ich schon bei ihr im Grabe.« Heftig schaudernd ergriff er meine freie Hand; er brachte mich aus dem Gleichgewicht, so daß das Glas auf den Fußboden krachte. Er fing mich auf, als ich zu ihm auf das Bett fiel, und setzte mich auf seinen Schoß, die Arme um mich gelegt. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und weinte.
    »Sie war alles, was ich hatte, alles, und nun ist sie tot.« Er streichelte mein Haar, als tröste er ein Kind.
    »Tröstet mich«, sagte er. »Tröstet mich.« Seine Hand lag an meinem Hals. Sie fühlte sich warm an, menschlich.
    »Nicht so«, sagte ich mit matter Stimme. Sein Gesicht war an meinem Busen; seine rauhe Wange an meiner zarten Haut machte mich schwach. Der schöne Kavalier vom Fenster. Mein. Um den entsetzlichsten Preis der Welt.
    »Fühlt meine Tränen«, sagte er, als die warme Nässe sich über meinen Hals verbreitete. Eine winzige Schwingung in seiner Stimme schien auf den routinierten Verführer hinzudeuten, doch

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