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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Beine sind so unschön‹, hat er gesagt. Ihr könnt Euch denken, das versetzte meinem Herzen einen Stich. Sechs lebende Kinder habe ich ihm geboren, und meine Taille ist so schlank wie ehedem, und er sagt, ich habe dicke Beine! Sein Bauch ist auch nicht eben schlank, wie Ihr wißt. Und er sackt allmählich ab wie die Brüste eines alten Weibes. Ein Kloster! Ich sage Euch, mich werdet Ihr niemals in ein Kloster gesperrt sehen.« Sie wandte sich von dem blutgefleckten Spiegel ab. »Öffnet die Türe, Madame. Laßt wieder Luft herein! Ich schicke nach meiner Masseuse. Bis das Kind geboren ist, werden meine Beine ihre Jugend wiedererlangt haben, genau wie heute mein Gesicht!«
    Bediente und Gefolgschaft strömten mit verdächtiger Schnelligkeit durch die geöffnete Türe herein. Die Angst in ihren Gesichtern verflog, als sie ihre Gebieterin guter Dinge sahen. Reich belohnt und mit dem Versprechen von tausend Gefälligkeiten, wenn der Sturz von Madame de Ludres eintreten sollte, ging ich von dannen. Das Beste von allem aber ist, dachte ich, als ich in der Kutsche saß und auf das gleichmäßige Getrappel der Pferdehufe auf der vereisten Straße lauschte, daß ich jetzt jegliche Kränkung von Madame de Ludres ertragen kann. Es wird mir ein Vergnügen sein, in den kommenden Monaten zu beobachten, wie die tückischen Seelen bei Hofe ihren Sturz herbeiführen werden. Dieses Mal, Satinpantöffelchen, seid Ihr in ein Spiel eingetreten, das zu unergründlich für Euch ist. Ich wünschte, ich könnte es Marie-Angélique erzählen.
    Kaum eine Woche später gab ein Botenjunge einen Brief an der Türe ab, der mein Herz fast vollends heilte.
    »Mademoiselle«, stand da geschrieben, »ich schlafe nachts nicht mehr, so sehr verfolgen mich meine Träume. Wieder und wieder erlebe ich den süßen Augenblick der Zuneigung, der uns verband. Ich muß Euch um jeden Preis wiedersehen. André.«
    »Sage ihm, daß ich zustimme«, trug ich dem Burschen auf. Und ehe der Tag sich neigte, brachte Sylvie mir seine Antwort.
    »Trefft mich morgen um drei Uhr maskiert in den Tuilerien. Ich werde einen mit goldenen Litzen besetzten Militärrock tragen. A.«
    »Madame wird doch gewiß nicht allein gehen?« meinte Sylvie, die ganz aufgeregt war bei dem Gedanken, Lamotte wiederzusehen.
    »Natürlich nicht. Es könnte eine Falle sein. Ich bin in dieser Stadt nicht bei jedermann beliebt. Ich nehme dich mit, und Mustafa soll in der Nähe bleiben. Er versteht sich sehr gut darauf, sich unsichtbar zu machen.«
    »Er schwirrt wie eine Libelle, vergeht wie ein Schatten und beißt wie eine Schlange«, ergänzte Mustafa fröhlich. »Ich denke, ich verkleide mich als Lehrjunge – hol's der Teufel! Das bedeutet, ich muß mir morgen früh den Bart scheren. Wie gut, daß ich meine Arbeit so kunstfertig zu verrichten weiß.«
    »Ich bin dir stets dankbar für deine Kunstfertigkeit, Mustafa«, erwiderte ich, indes ich mich setzte, um mir von Sylvie meine Kämme lösen und die Haare bürsten zu lassen. Nach außen hin war ich kalt wie Eis, aber mein Herz klopfte heftig. Ich verfolgte Lamotte in seinen Träumen. Ein gerechter Tausch. Er war jahrelang durch die meinen gegeistert. Der charmante Kavalier. Ein wenig abgenutzt, dennoch des Besitzens wert. Das Wunder war geschehen. Ich war es, die er begehrte, obwohl er von so vielen aristokratischen Schönen umringt war. Nach so langer Zeit. Wir würden miteinander reden. Wir würden gemeinsam Marie-Angéliques gedenken. Und dann würde er mir sagen, daß ich es war, die er stets geliebt hatte, ohne daß es ihm selbst bewußt war. Was sind schließlich blonde Locken, verglichen mit einem ernsthaften Verstand und einer innigen Zuneigung?
    Am nächsten Morgen freilich, als ich im Bette saß, starken türkischen Kaffee trank und meiner rasenden Gedanken Herr zu werden suchte, war ich mächtig verstimmt über das, was ich Sylvie auf der Treppe sagen hörte.
    »Gib es nur zu, Gilles – dieses Band bringt mein Haar gut zur Geltung. Das ist ihm ins Auge gefallen, weißt du. Ich habe so ungewöhnliches Haar. Und daß du es nicht Madame erzählst, aber ich habe ihn deutlich meine Fessel bewundern sehen, als er ehedem hier war. Es wäre wohl denkbar, daß es gar nicht sie ist, die er begehrt.« Gilles antwortete mit einer Reihe mürrischer Grunzlaute. Gott, dieser Lamotte. Wo er hinkam, entfachte er bei törichten Frauen wie Sylvie aussichtslose Illusionen. Ich darf nicht mit ihm hadern, dachte ich. Ich werde gütig sein wie eine

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