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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Euch, und Euch allein«, sagte er, fast als könne er meine Gedanken lesen. »Meine Gönnerin ist jedoch eine mächtige Frau. Wir müssen vorsichtig sein, behutsam. Wenn wir uns in der Öffentlichkeit begegnen, was gewiß geschehen wird, müßt Ihr vorgeben, mich nicht zu kennen.«
    »Ich weiß – André.« Ich zögerte bei dem Namen. Dem lieben Namen, den ich in meinen Träumen so oft unter genau diesen Umständen gesagt hatte. »Ich verstehe.«
    »Ah, Ihr seid ein Schatz. In diesem Punkte hatte der Philosoph recht, in den übrigen hat er sich geirrt.« Der Philosoph? D'Urbec. Oh, dieser Störenfried. Sogar in absentia gelang es ihm, sich einzufinden.
    »Der Philosoph?« fragte ich, als ob ich es nicht vermutet hätte.
    »Eine lautere Frau ist die beste, sagte er immer. Aber er hat nie begriffen, daß Leidenschaft für eine Frau wichtiger ist als die Zusammenkunft großer Geister.«
    »Für eine Frau?« Allmählich wurde ich ärgerlich. »Und nicht für einen Mann?« fragte ich.
    »Aber ja – natürlich auch für einen Mann«, sagte er mit einem herablassenden Lächeln, als sei es ihm nicht ganz ernst.
    »Ich dachte, Ihr seid Freunde.«
    »Natürlich. D'Urbec und ich sind die allerbesten Freunde. Eng befreundet seit der Schulzeit, selbst als er darauf beharrte, seinen Verstand höher zu werten als meinen.«
    »D'Urbec wertet seinen Verstand höher als den jedes anderen«, erwiderte ich.
    »Ha! Wie wahr. Ärgerlich aber ist, wenn er Leute damit hänselt. Die Satire, die er über die Selbstmordszene in meinem ›Osmin‹ schrieb – ah, zuweilen ist es eine Plage, mit einem libelliste bekannt zu sein – dennoch, ein Freund ist ein Freund –«
    »Satire – Ihr meint diesen kleinen Aufsatz in –«
    »›Parnasse Satyrique‹, hol ihn der Teufel, als ob ich nicht auf den ersten Blick gewußt hätte, wer das elende Werk verfaßt hat. Sein Stil ist unverwechselbar. Ich erkenne den Löwen an seiner Pranke. Natürlich würde ich ihn niemals verraten. Aber die ganze Stadt spricht davon. Ein Klassiker im Untergrund, seit es von der Polizei verboten wurde. Der Bischof von Nantes mußte wahrhaftig fünfunddreißig Livres dafür bezahlen. In dem Augenblick, als er es mir zeigte, wußte ich Bescheid. Wo ich hinkomme, zitieren die Leute mir das verfluchte Zeug, und ich muß gute Miene machen und lachen.« Lamotte erhob sich plötzlich und schritt wütend auf und ab. Er ballte die Fäuste, die Adern an seinen Schläfen traten hervor. Dann drehte er sich zu mir um, und seine Züge wurden sanft.
    »Ah, genug davon. Ich bin jetzt ein anderer Mensch. Ihr habt mich erneuert, Ihr habt mich inspiriert. Mein nächstes Meisterwerk, weit großartiger als mein ›Osmin‹, vortrefflicher als meine ›Sappho‹, wird dem Leben abgeschaut sein. ›Theodora‹ – und Ihr werdet das Vorbild für die Heldin sein. Ihr, und Ihr allein, o göttliche Inspiration der Leidenschaften.« Ich spürte, daß ich vor Wonne errötete. Es kümmerte mich nicht, wenn ich schwanger würde. Ich würde irgendwie damit fertig werden. Ich, eine Inspiration der Muse des Poeten! Ich konnte kaum atmen vor Glück. Doch selbst als mir das Herz aufging, sagte die böse kleine Stimme in meinem Kopf, er hat dich nur benutzt, um sich an d'Urbec zu rächen. Schämst du dich nicht, dich so leicht in die Falle locken zu lassen? Es ist mir einerlei, jubelte mein Herz. Ich werde ihn ganz für mich gewinnen, und unterdessen wird seine amour in der ganzen Stadt bekannt sein, der Klatsch über die heimliche Inspiration seines Stückes in jedes Schlafgemach eindringen. Sein Meisterwerk wird mir gehören. Man denke nur, ich – eine einflußreiche Schöne, die Inspiration der Musen, Gegenstand des Neides und der Bewunderung der Salons von Paris. Mein Verstand wollte sagen, glaubst du, er weiß nicht, daß dies der Traum eines häßlichen Mädchens ist? Wie vielen anderen Frauen sagt er genau dasselbe? Mein Herz aber brachte die Stimmen in meinem Kopf zum Verstummen. Es war schon immer ein lautes und dummes Organ.

    Der Herbst verging im schimmernden Licht der Romanze. Die ziehenden grauen Wolken, der kühle Wind, der die Blätter durch die Gossen wirbelte, das melancholische Tröpfeln von den Schieferdächern – das alles war mir unendlich kostbar, nun da ich eine poetische Inspiration war. Wie zufrieden war ich mit mir, wenn ich mich oben aus dem Fenster lehnte und nach ihm Ausschau hielt oder, Horaz lesend, am Feuer saß und auf eine Botschaft des stattlichsten Mannes von Paris

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