Die Hexe von Paris
hatte mich nicht einmal zu einer Lesung eingeladen. Diese verfluchte La Voisin. Sie verstand es vortrefflich, mich stets aufs neue zu erzürnen.
KAPITEL 22
M adame de Ludres war ein unvermähltes Hoffräulein, die schönste unter den Hofdamen der unscheinbaren Duchesse d'Orléans. »Madame« nannte sie sich, weil sie das fromme Gelübde einer Kanonisse abgelegt hatte. Das brachte ihr eine beträchtliche Pfründe aus einem fernen Kloster ein, welche sie für Lustbarkeiten und amouröse Tändeleien ausgab. Ihr Gelübde hatte sich weder auf ihre Kleidung noch auf ihr Gebaren nachteilig ausgewirkt, stellte ich fest, als man ihr vor meiner Türe aus der Kutsche half. Von dem Augenblick an, da ihre satinbeschuhten Füße mit arrogantem Schritt über meine Schwelle traten, haßte ich sie. Ich haßte ihre aufwärts gebogene gepuderte kleine Nase; ich haßte es, wie sie die Flecken auf ihrem Teint mit winzigen schwarzsamtenen, halbmondförmigen Schönheitspflästerchen verdeckte. Ich haßte den Diener, der ihre Schleppe trug, und die Kammerfrau, die ihr Schoßhündchen hielt. Marie-Angéliques kleiner Finger war schöner als ihr ganzer Körper. Ihr Ehrgeiz war schuld daran, daß die Knochen meiner Schwester im Collège de Corne zur Schau gestellt wurden. Vivonnes maîtresse en titre, ein erfreulicher Schritt nach oben für sie. Aber es war nur ein Schemel, auf den sie den Fuß für den weiteren Aufstieg setzte: zu der höchsten Macht, der maîtresse en titre Seiner Majestät, des Sonnenkönigs. Eher sehe ich Euch in der Hölle, dachte ich.
Das Bild war deutlich. Ich sah sie am Hofe in einem Vorzimmer, das ich nicht erkannte. Die Höflinge erhoben sich, als sie eintrat. Obgleich die Damen leuchtende Sommerkleider trugen, wie es der König befohlen hatte, sah ich an ihrem Zittern und an den dicken Uniformen der Lakaien, daß es Winter war. In dem schillernden Bild wütete Madame de Montespan in ihrem berühmten »wallenden Gewand«, das auf eine fortgeschrittene Schwangerschaft hinwies, lautlos hinter der Mauer der Höflinge. Deren Blicke jedoch waren auf die neue Favoritin gerichtet.
»Ihr werdet die höchste Gunst nicht sogleich erlangen«, sagte ich ruhig. »Madame de Montespan hat sich mit ihrem erlauchten Liebhaber versöhnt und wird bald ein Kind von ihm empfangen. Wenn die Schwangerschaft fortgeschritten ist, wird sein Augenmerk wieder schweifen, und Ihr werdet die allerhöchste Anerkennung finden.«
»Wann?« fragte sie. Ihre harten kleinen Augen verrieten Habgier und Ehrgeiz. Ich wünschte, auch ich hätte einen Knochengarten, in den ich ihre Gebeine werfen könnte.
»Es könnte zur Mitte des Winters sein. Möglicherweise zu Beginn des neuen Jahres.«
»Und Mademoiselle de Thianges, was ist mit ihr?«
»Das erfordert eine zweite Lesung«, sagte ich verbindlich, »es ist sehr schwierig, für eine Person zu lesen, die nicht anwesend ist. Ich erhebe die doppelte Gebühr, und garantieren kann ich nichts.« Widerwillig zählte sie das Geld vor. »Habt Ihr etwas mitgebracht, das ihr gehört?« fragte ich.
»Ich habe ihre Zofe bestochen, mir eine Rosette von ihrem Schuh zu überlassen.« Sie holte eine schlaffe Rosette aus rosafarbenem Satin hervor. Sie hatte offensichtlich von meinen Methoden gehört. Ich befragte meine Wasservase aufs neue, hielt unter großem Getue die Rosette an das Glas.
»Mademoiselle de Thianges ist ohne Bedeutung. Sie wird sich nur einer flüchtigen Gunst erfreuen und alsbald vermählt werden.«
Ich war froh, als die unliebsame kleine Kanonisse sich mit ihrem Gefolge verabschiedete.
La Voisin hatte recht. In der folgenden Woche drängten sich Aspirantinnen mit ihren Müttern, Brüdern, Vätern oder sogar Ehemännern, und alle ersuchten um Auskunft aus dem Glase. Diejenigen, die selbst tätig werden wollten, schickte ich zu La Voisin, um poudres d'amour zu erstehen und sonst noch allerlei, von dem sie dachten, es könnte ihre Chancen vermehren. In diesen Wochen machte die Hexenmeisterin von Paris mit Wachspüppchen und Zaubersprüchen ein immenses Geschäft. Sonntags in Notre-Dame de Bonne Nouvelle wurden ausgefallene neue Hüte und seidengefütterte Umhänge vorgeführt; in den weniger feinen Vierteln hörte man heisere Frauenstimmen in den Hinterzimmern gewisser Kaschemmen singen, und der Schwarzmarktpreis für ausgesetzte Kinder stieg auf zwei Écus. Ich kaufte mir einige kuriose alte Bücher, die ich seit langem begehrte, und für meinen Empfangssalon ein italienisches Gemälde,
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