Die Hexe von Paris
Helden im Theater. »Lauterkeit, das ist es, was ich entbehrt habe, sagte ich mir. Auf der ganzen Welt gibt es nur eine lautere Frau, und deswegen verfolgt mich die Erinnerung an jenen Augenblick toller, köstlicher Leidenschaft.« Er rückte näher an mich heran. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Hals.
Es ist nicht Lauterkeit, wisperte mein zynischer Verstand, der scharf und wach war vom türkischen Kaffee, es ist Rarität. Ich bin die einzige Frau, die er nicht jederzeit haben kann, die ihn nicht in den Salons umgurrt. Mache dich rar, wenn du willst, daß er dir nachstellt. Doch mein Herz, berstend in dem Wahn, ihm zu glauben, gebot meinem Verstand Schweigen.
»Fühlt Ihr es nicht?« fragte er, und sein Arm legte sich um meine Taille. »Zwei Herzen, dazu bestimmt, wie eines zu schlagen?« Er nahm meine Hand und preßte sie unter seinem schweren Rock an sein Herz. Mir schwindelte, als ich seinen Herzschlag fühlte. »Jener Augenblick der Zärtlichkeit – ich muß, wir müssen ihn wiederholen.«
»Nicht jetzt, nicht hier. Es ist unschicklich«, brachte ich krächzend hervor.
»Unschicklich? Dieser Pavillon könnte von tausend Geheimnissen flüstern, wenn er sprechen könnte. Wo Liebe ist, gibt es nichts Unschickliches.«
»Bitte, André, um Gottes willen, nein.« Ich wollte ihn fortstoßen, aber mir fehlte die Kraft.
»Sehr wohl, Mademoiselle. Ich füge mich Eurem Flehen. Von solchen weiblichen Launen werden Herzen gebrochen. Aber Ihr, Geneviève, ich dachte, Ihr hättet mehr frauliche Zuneigung in Euch. Sie ist nicht frivol und kokett wie die anderen, dachte ich. Dennoch, ich füge mich. Ich bitte Euch nur um eines, bevor wir scheiden – einen einzigen Kuß. Ich habe nicht das Recht, um mehr zu bitten.«
»Ich – ich wage es nicht.«
»Nur einen einzigen? Für mich, um ihn für immer in meinem Herzen zu bewahren? Die zärtliche Erinnerung – an ein – lauteres Herz –« Er war ganz nahe.
»Es sei – nur – nur einen.« Ich sah seine Augen hinter den Gucklöchern seiner Maske glitzern.
Ein Hexenmeister mußte ihn diesen Kuß gelehrt haben. Wie ein schrecklicher Zauber lähmte die Berührung seiner Lippen meinen Leib und raubte mir meinen Willen.
»Ihr werdet heute nacht bei mir sein«, murmelte er, indes seine Hände meinen Körper schwach machten. »Entlaßt Eure Kutsche und Bedienten, und wir gehen in eine ruhige kleine Herberge, die ich an der Straße nach Versailles weiß.«
»Ich – ich kann nicht«, flüsterte ich. Noch ein Kuß. »O ja«, sagte ich nahezu ohnmächtig. Aber während mein Mund zustimmte, rief mein Verstand, sage nein, du Närrin. Laß ihn nicht gewähren. Du wirst schwanger werden und sterben. Sei's drum, jubelte mein Herz, er begehrt dich, der stattlichste Mann der Welt. Ein Unheil, flüsterte mein Verstand. Du wirst dein Leben verlieren, du wirst in den Gassen hinter der Herberge sterben. Aber er liebt dich, rief mein frohlockendes Herz. Er muß dich lieben. Was sonst ist von Belang? Törin, Törin, seufzte mein Verstand, als Lamotte meinen Arm nahm und ich mich zu seiner Kutsche geleiten ließ.
Die Kerzen brannten herunter; auf dem Tisch in dem winzigen Raum unter den Dachtraufen standen die Reste eines kleinen Soupers. Durch das geöffnete Fenster hörten wir nichts als das Zirpen der Grillen im Dunkel.
»Mademoiselle, nur selten wird solche Vollkommenheit der Liebe erreicht«, erklärte er, indes er seine wollene Kniehose zuknöpfte. Die Geste dünkte mich mit einem Mal routiniert. »Ich dachte, nie wieder würde ich ein solches Glück finden«, sagte er mit seiner warmen Baritonstimme und stopfte mit geübter Geste sein Hemd in sein Beinkleid. »Meine Liebe, meine Dankbarkeit sind unermeßlich.« Was war das in seiner Stimme? Nun das Herz gesättigt war, übernahm der Verstand wieder das Regiment. Höre ihn dir an, sagte der Verstand. Er hat dich benutzt. Jetzt wird er dich verlassen. Bereust du es nicht?
»Werden wir – uns wiedersehen?« fragte ich kleinlaut.
»Meine Liebe, mein Juwel, ich gedenke, mit Euch voranzustürmen. Meine Muse steht Euch zu Diensten.« Warum hörte es sich plötzlich so falsch an? Vor langer Zeit, vor der Maison des Marmousets, hatte er sich nie falsch angehört. Wahnsinnig, ja, aber nicht falsch. Doch dann schenkte er mir sein bezauberndes Lächeln, und alle meine Zweifel schwanden. Er liebte mich. Er fürchtete nur, es zu sagen. Zwar war er noch das Geschöpf der Herzogin, aber sein Herz gehörte mir.
»Mein Herz gehört
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