Die Hexe von Paris
Heilige, so, wie er sich Marie-Angélique vorgestellt hatte.
Ich nahm mir viel Zeit, meine Kleidung auszuwählen. Ich verweilte lange vor dem rosafarbenen Satinkleid, das noch jungfräulich neu in seiner Musselinhülle steckte. Aber es war nicht das richtige für einen feuchten Park im Herbst. Er wird mich später an einen eleganteren Ort einladen, und ich werde ihn darin blenden. Für heute aber etwas Warmes, Hübsches, Seriöses. Bunt. Oh, warum habe ich soviel Schwarzes? Ich brauche jugendliche Kleider, hübsche Sachen mit Blumen, dachte ich, als ich fieberhaft den Schrank durchwühlte, jedes einzelne Kleid prüfend und aufs neue prüfend, indes Sylvie ungeduldig mit dem Fuß tappte. Am Ende entschied ich mich für ein dunkelgrünes Wollkleid mit einem Besatz aus schwarzen Bändern, das ich durch ein Schultertuch aus kostbarer weißer Spitze ergänzte, um ihm ein jugendlicheres Aussehen zu verleihen. Mein düsterer grauer Umhang, ein unauffälliger schlichter Hut mit breiter Krempe und eine schwarze Samtmaske vervollständigten das Bild.
»Euer Spazierstock, Madame?« Gilles hielt bereits den Wagenschlag auf, als Sylvie mit meinem großen, silberbeschlagenen Stock herbeirannte.
»Ich nehme ihn nicht mit, Sylvie.«
»Aber – aber dann hinkt Ihr stärker. Mit dem Stock sieht man das Hinken kaum.«
»Mit dem Stock sehe ich aus wie die Marquise de Morville, Sylvie. Wir werden zeitig genug dort sein, so daß ich ihn im Pavillon sitzend erwarte.«
Die Kieswege des Parks waren regennaß, und abgestorbene Blätter lagen in feuchten Klumpen unter den noch triefenden Bäumen. Aber als man mir vor dem Tor aus meiner Kutsche half, teilten sich die grauen Wolken, und unversehens spiegelte sich das Licht in den Pfützen und verwandelte sie in blendende silberne Flecken. Ein Zeichen, dachte ich. Nach allem Ungemach ist es mir nun bestimmt, glücklich zu sein.
Von unserem Aussichtspunkt in dem kleinen, zwischen Bäumen versteckten Pavillon konnten Sylvie und ich den Pfad überblicken, ohne gesehen zu werden. Heute waren nur wenige Besucher im Freien; selbst ein Garten, der für heimliche Stelldicheins berühmt war, erlitt bei kalter Witterung Einbußen. Lamotte verspätete sich. Ich hatte kein Buch mitgebracht, um mir die Zeit zu vertreiben, denn er sollte mich nicht lesend sehen. Daher vergnügten wir uns damit, die vereinzelten Passanten, die wir sahen, zu verkuppeln.
»Für den korpulenten Herrn da drüben und seinen Sohn – oh! Die Witwe Bailly und ihre jüngste Tochter, meine ich!«
»Ah, nein, Madame, die Tochter des Wurstmachers in der boucherie, und für den Vater eine ruinöse Affäre mit La de Brie, der Komödiantin!« Wir kicherten ohne Unterlaß. Ein Pärchen auf der Suche nach einem Platz für sein Rendezvous spähte hinein, erblickte uns und entschwand eilends, gekränkt von dem Gedanken, daß wir sie auslachten.
Endlich sahen wir eine hohe Gestalt in einem Militärrock, den Hut tief in das maskierte Gesicht gezogen, durch die Pfützen ausschreiten, als gelte es, verlorene Zeit aufzuholen.
»Oh! Er ist es!« Sylvie hielt sich die Hand vor den Mund.
»Sylvie, bitte warte draußen und halte mit Mustafa Wache – wir wollen nicht gestört werden.«
»Ja, Madame«, erwiderte sie, brachte es aber zuwege, ihren Fortgang lange genug hinauszuzögern, um Lamotte einen kurzen Blick auf ihren Fußknöchel zu gewähren.
»Mademoiselle, ich bitte tausendmal um Vergebung.« Lamotte schwenkte zur Begrüßung seinen scharlachroten Federhut. Mein Gesicht war heiß unter meiner Maske.
»Ich wurde von der Herzogin aufgehalten. Was für Besorgungen, was für Albernheiten sie mir aufträgt! Und doch habe ich Glück mit meiner Gönnerin. Wer kann ohne Gönnerschaft schöpferisch sein? Die edle Glut des Geistes, sie entflammt nicht bei Brot und Kohl –« Er brach ab und sah mich lange an. »Ich träume nachts von Euch. Jener Tag, jener entsetzliche Tag – und Ihr – verfolgt mich.«
»Ich – auch ich habe jenes Tages gedacht.« Wo waren meine Selbstsicherheit, mein Witz? André setzte sich neben mich auf die Marmorbank.
»Alles ist blaß seit jenem Tage. Die Unlauterkeit und Seichtheit meiner Welt werden überall offenbar. Für einen Augenblick dachte ich, ich sei der Wahrheit teilhaftig geworden.« Worte, die zu hören ich immer geträumt hatte. Ich versuchte zu antworten, doch kein Laut kam aus meinem Mund. »Ihr müßt es gefühlt haben, die Vollkommenheit jenes Augenblicks.« Seine Stimme schwang wie die eines
Weitere Kostenlose Bücher