Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
wartete. Ich sah ihn nicht oft. Er machte sich nur für wenige Minuten von seinen Verpflichtungen frei, von seiner Gönnerin, seinem Schreiben, seiner unumgänglichen Anwesenheit in diesem oder jenem Salon. Manchmal kreuzten sich unsere Wege bei einem Souper oder einer Lesung in einer aristokratischen Residenz. Dann gaben wir vor, uns nicht zu kennen, und ich nahm jedes mitangehörte Wort in mich auf.
    »Meine Liebe, das ist der Chevalier de la Motte – sieht er nicht gut aus? Man sagt, er schafft ein Meisterwerk, das seiner ›Sappho‹ den Rang ablaufen wird. Offiziell ist es natürlich der Herzogin gewidmet, aber ich höre, eine Frau, für die er heimlich entbrannt ist, dient ihm als Vorbild –«
    »Wißt Ihr, wer –?«
    »Nein, sie ist sehr mysteriös; manche sagen aber, es ist Ninon deLenclos.«
    »Ninon? Sie ist viel zu alt, meine ich. Die Frau, die ihn inspiriert, soll eine große Schönheit sein –«
    Musik hätte mir nicht lieblicher in den Ohren klingen können.
    Eines Nachts kam er heimlich in mein kleines Haus in der Rue Chariot und deklamierte bei Kerzenlicht seine neuesten Verse, die tirade der tragischen Kaiserin, in gemessenen Alexandrinern. Die Weingläser schimmerten im Kerzenschein, indes er eine würdige Pose einnahm und sein Bariton liebevoll die Zeilen koste.
    »Oh, das ist glänzend. Euer Talent kommt Racines gleich. Es stellt sogar den großen Corneille in den Schatten.« In Wahrheit wirkte sein Werk hie und da wohl etwas trocken, aber da es mich zum Gegenstand hatte, gewann es unendlich an Liebreiz. Ich konnte nicht genug davon bekommen. Als meine Menstruation auf den Tag genau einsetzte, war ich enttäuscht. Ich hätte sehr gerne ein Kind gehabt, selbst wenn es das Geschäft beeinträchtigte. Außerdem könnte es ihn vielleicht an meinem Kamin halten, um dort auf ewig Gedichte vorzulesen.
    »Es kommt Racines gleich? Ei, ich bin viel besser als Racine. Er schafft sich mit seiner Feder tausend Feinde – überdies spüre ich eine gewisse Ungeschliffenheit in seiner Darstellung von Personen aristokratischen Geblütes. Etwa die Szene, wo Alexander nach der Fütterung seiner Pferde aus dem Stall kommt. Kein Edelmann würde seine Pferde eigenhändig füttern. Es riecht nach Bourgeoisie – es gebricht ihm an Kultiviertheit.«
    »Lieber André, wie würde Euch ein Kind unserer Liebe gefallen?«
    »Wie –? Ein Kind? Ihr seid nicht schwanger, nein? Um Gottes willen –«
    »Noch nicht – aber angenommen, ich wäre es?«
    »Oh, Ihr seid es nicht?« Er wirkte erleichtert. Er zog sein Schnupftuch aus dem Ärmel und wischte sich über die Stirne. Damals war ich von seiner Fürsorge gerührt.

    »Madame, Ihr seht neuerdings viel zu rosig aus.« Sylvies Stimme klang enttäuscht und schroff. Sie war in letzter Zeit sehr schnippisch. »Ich habe nach La Trianon um dickere weiße Schminke geschickt.«
    »Diejenige, die sie Frauen verkauft, die Blattern hatten? Die ist wie Gips!« Ich lachte.
    »Lacht Ihr nur, aber wenn Ihr nicht wie ein Leichnam ausseht, werden Eure Einkünfte auf die Hälfte schrumpfen, und Madame wird wissen wollen, warum. Oh, Mustafa, wer ist jetzt an der Türe? Hoffentlich Kundschaft und nicht schon wieder ein Kaufmann mit einer Rechnung.«
    »Diesmal ist es Kundschaft. Eine Dienstmagd mit der Bitte, Madame de Morville möge einen Hausbesuch abstatten. Morgen nachmittag, wenn der Herr des Hauses fort ist.«
    »In welchem Haus?«
    »In der Rue des Marmousets auf der île de la Cité. Maison des Marmousets.« Es war soweit. Endlich.
    »Wer ist die Dame, Mustafa? Ich kenne das Haus nicht.«
    »Oh, aber ich, Madame«, warf Sylvie ein. »Sie war eine gute Klientin von Madame Montvoisin, aber nun ist sie krank und ans Haus gefesselt. Sie befaßt sich vornehmlich mit Astrologie. Die Witwe Pasquier. Ihr habt gewiß von ihr gehört. Sie war einst sehr elegant, wenn sie auch nie zur Hofgesellschaft gehörte.«
    »Ich glaube, ich habe den Namen schon gehört.« Allerdings. Mutter. Eure Töchter habt Ihr im Stich gelassen, Euren Gemahl vergiftet. Ungeheuer. »Sage der Magd, ich werde morgen nachmittag um Punkt zwei Uhr dort sein.« Ja, ich werde dort sein, dachte ich. Mit einer Mixtur aus demselben Gift, das meinen Vater das Leben kostete und mein ganzes Glück zerstörte.

KAPITEL 23
    D icht verschleiert ließ ich mich von der eingeschüchterten Suzette, die in den zwei Jahren um vieles älter und gesetzter geworden war, von der Kutscheneinfahrt in den Hof geleiten. Das Haus kam mir kleiner

Weitere Kostenlose Bücher