Die Hexe von Paris
Parfumeur.«
»Es ist ein Glück, daß ich mir nach all meinen Leiden meine Schönheit bewahrt habe. Er kommt bestimmt. Ich habe eine sehr lange Zeit hier am Fenster gewartet, müßt Ihr wissen. Nun wird er bald hier sein. Er hat es gesagt. Nur eine kleine Weile, um seine Angelegenheit in Portiers zu regeln. Das ist nicht weit. O ja, Ihr habt mir wunderbar wahrgesagt.« Sie sah sich mit verschlagener Miene um, als wolle sie einem unsichtbaren Beobachter ausweichen, dann stand sie auf und ging in die Zimmerecke. Unterwegs stieß sie gegen den Schemel. »Wißt Ihr«, flüsterte sie, »er gibt mir kein Geld. Ich habe schon genug ausgegeben, sagt er. Aber wann hätte ich je etwas ausgegeben, das nicht zum Wohle dieses Hauses war? Geld. O ja, Geld. Ich kann Euch keines anbieten. Ich bin jetzt arm, so arm. Ah, es ist der Frauen Los, arm zu sein. Ich habe meine Leibrente zu Geld gemacht. Was habe ich ihm für Opfer gebracht – alles im geheimen, alles im geheimen. Aber ich mußte es tun. Er ist so ein ungezogener Knabe! Ich werde La Reynie sagen, daß er ein schlimmer Knabe ist. Seht Ihr diese Bücher? Ihr müßt sie nehmen statt Geld. Sie sind gewiß sehr wertvoll. Ich kann sie ohnehin nicht lesen. Lest und betet, hat er gesagt. Was weiß er denn? Mit zwanzig ein verdorrter kleiner Stecken – vielleicht ist er ja doch von seinem Vater. So ein selbstgefälliger Mensch! Was weiß denn er, wie es bei Hofe zugeht. Wir wissen es, nicht wahr, Marquise?«
»O ja, gewiß.« Ich hatte mein Glas zugedeckt. Ich wollte nicht sehen, was darin war.
»Das sind die Bücher. Könnt Ihr heranreichen?« Sie streckte die Hand nach dem Bord aus, und eine Amorette aus Porzellan krachte auf den Fußboden. »Ja, ich habe sie. Hier. Es sind sechs Stück.« Sie ließen mein Herz stocken. Großmutters Bibel. Ein theologisches Traktat, »La mystique cité de Dieu«. Drei alte Bände aus Vaters Bibliothek, alle in Kalbsleder mit Goldprägung: Aristoteles' ethische Schriften. Seneca. Descartes. Und mein Petronius. Eine merkwürdige Zusammenstellung von Büchern für eine blinde eingesperrte Frau, um darüber zu meditieren. Sie rochen nach Staub und Schimmel. Ich steckte sie mitsamt meinem Glas in den Beutel.
»Ich bin es, deretwegen der Chevalier kommt, nicht Marie-Angélique«, erklärte Mutter. »Ich bin noch immer eine schöne Frau, findet Ihr nicht?« Sie blickte kokett aus den Winkeln ihrer zerstörten Augen, deren Weißes wäßrig-gelblich schimmerte wie ein Froschbauch, eine einstmals reizende, nun abschreckende Geste.
»Ja, natürlich.«
»Natürlich. Ja, Ihr habt recht. Marie-Angéliques Haar hat nicht die Farbe von meinem. Pures Gold. Und blaue Augen sind viel gewöhnlicher als grüne. Aber sie ist jünger. Jüngere sind bei ihnen begehrter. Aber dann sehen sie mich, und sie sind geblendet. Doch er hat mich bestraft, wißt Ihr.« Mir war, als müßte ich ersticken. Ich wollte entfliehen. Sie aber packte meinen Ärmel und flüsterte mir vertraulich ins Ohr: »So sind sie eben, diese unbedeutenden bourgeoisen Ehemänner. ›Und wenn man einen Affen in Seide kleidet, er ist und bleibt ein Affe – und du bist und bleibst ein Bourgeois‹, habe ich zu ihm gesagt. Und dann ging er hin und fand sie, die häßliche Kleine, und gab ihr alles, aus Rache. Rache, sage ich. Sie hätte sterben sollen. Die anderen sind alle tot. Heimlich habe ich durch meinen Bruder das Geld geschickt und ihm gesagt, sie sei auch gestorben.«
Etwas in meinem Inneren zitterte. »Warum habt Ihr das Geld geschickt, statt Eure Tochter sterben zu lassen?« fragte ich leise, jegliche Empfindung verbergend.
»Ach, was weiß ich. Es hat so lange gedauert bei ihr. Sie wurde krank, sie wurde gesund. Das dumme alte Weib schickte mir unentwegt Botschaften. Angenommen, er erfuhr davon und versuchte, sie zurückzuholen? Das Weib hätte womöglich angefangen, ihm zu schreiben, um ihn um Geld anzugehen. Ich habe es ihm ordentlich heimgezahlt. Aber er hat es erfahren. Wie? Der Teufel muß es ihm erzählt haben. Er hat ihr alles gegeben. Bastard. Aber sie ist gestorben, er hat nichts davon gehabt. Sie lasen seinen Letzten Willen, und ich lachte. ›Für meine Tochter Geneviève‹, verfügte er, und ich lachte. Die Advokaten sagen mir, ein Mann kann seiner Frau nichts vermachen, nur seinen Kindern. Ha! Nichts, niemandem. Ein Witz, ein Witz, Madame, die Hand aus dem Grabe – vereitelt.« Sie lachte schallend. Dann senkte sie verschwörerisch die Stimme. »So haben die Advokaten
Weitere Kostenlose Bücher