Die Hexe von Paris
vor, finsterer und strenger; die blauweißen Paneele an den Wänden des Empfangssalons und des Speisezimmers waren schweren Draperien gewichen. Das Haus eines erfolgreichen Advokaten, der eines Tages vielleicht ins Parlament aufsteigen würde. Das Haus eines konservativen jungen Mannes, der im Begriff war, vorteilhaft in eine fürnehme Familie von Rechtsgelehrten einzuheiraten. Ein Haus, das schreckliche Geheimnisse barg. Ich konnte mir in diesen Räumen keine lachenden Kinder vorstellen. War es möglich, daß Marie-Angélique dort am Fenster gestanden hatte, mit ihren goldenen Haaren, die im Frühlingslicht schimmerten, indes sie errötend über einen jungen Mann kicherte, der mit einer Mandoline drunten auf der Straße stand?
»Madame ist unpäßlich; ihr Sohn ist heute außer Haus. Sie hat gehört, daß Ihr der Comtesse du Roure und der Duchesse de Bouillon wunderbare Prophezeiungen gemacht habt. Sie hatte in letzter Zeit ein schweres Leben, eine seltsame Krankheit, die kommt und geht. Nicht einmal die Visiten der Wundärzte und des Priesters bringen ihr Erleichterung. Nur Astrologen und Handleser verschaffen ihr noch Seelenfrieden.« Suzettes Stimme klang freudlos und müde.
Als wir die Treppe zu Großmutters Kammer hinaufstiegen, durchlief mich eine Welle der alten Angst. Zwar hatte Suzette mich nicht erkannt, aber ich fürchtete die scharfen Augen meiner Mutter. Mein Beutel mit dem Glas, dem Rührstab, dem Tuch und der kleinen grünen Glasphiole schien sehr schwer geworden. Mein Herz klopfte heftig unter dem tiefschwarzen Kleid der Marquise de Morville.
»Bist du es, Suzette? Hast du die Wahrsagerin hereingeführt?« Ich erkannte die Frau kaum wieder, die auf dem Bette saß und aus dem Fenster starrte. Als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie eine gepflegte Frau mittleren Alters; nun hatte sie die Schwelle zum schlampigen Verfall überschritten. Etwas, eine Krankheit des Leibes oder der Seele, hatte sie gezeichnet. Mutter war fett geworden. Sie trug kein Korsett unter ihrem alten gelbseidenen Morgenrock, dessen Ärmel ungeschickt geweitet worden waren, um den schlaffen Armen Platz zu bieten. Unter ihrer leuchtend goldenen Perücke lugten graue Strähnen hervor. Sie wandte uns den Kopf zu, als wir eintraten. Ohne Schminke war ihr Gesicht zu einer knitterigen Masse von losem Fleisch zerfallen; wie Krater klafften die Poren auf ihren Wangen. Die Nase war dick und unförmig geworden; ein fettiger Glanz lag über der gelblichen Haut. Unter den wäßrigen Augen hingen Tränensäcke. Sie blickte in unsere Richtung, diese trüben, rollenden Augen, sahen uns aber nicht an.
»Madame sieht nicht gut; Ihr müßt näher herantreten.«
»Ich sehe sehr gut, Suzette. Ich sehe das Licht am Fenster. Führe die Wahrsagerin herein.«
Die Kammer war vollgestopft und staubig. Großmutters Sachen standen noch da, Mutters waren hinzugekommen. Ein zweiter Kleiderschrank war neben den ersten gezwängt, die Türen waren aufgeplatzt unter der Last von alten Kleidern. Eine zweite Frisiertoilette, vollgestellt mit Porzellantiegeln, Fläschchen und Schächtelchen, war an eine Wand gerückt, daneben ein Schränkchen aus Vaters Studierzimmer. Die Borde waren beladen mit Kinkerlitzchen, Porzellanfigürchen und einem halben Dutzend verstaubter Bücher. Ein widerwärtiger Geruch nach Krankheit erfüllte die Kammer und hatte sich in den Bettvorhängen festgesetzt. Die blutroten Wände waren bräunlich geworden, und das goldgestanzte Muster war zu schwärzlichem Grau verblaßt. Ich konnte mir schwerlich vorstellen, daß Großmutter mit ihrer adretten kleinen Haube und ihrem Linnen, das nach Lavendel duftete, einst in diesem schmutzigen Bette lag.
»Nehmt dort drüben Platz – nicht im Lehnstuhl, auf dem Schemel«, sagte die brüchige Stimme. Eines war an Mutter unverändert geblieben. Ich nahm den Lehnstuhl.
»Ich hörte Euch nicht den Schemel rücken«, sagte die Stimme mißtrauisch.
»Madame, ich bin die Marquise de Morville; ich habe den Lehnstuhl genommen.«
»Morville? Von dieser Familie habe ich nie gehört. Von Geblüt oder durch Heirat?«
»Durch Heirat. Ich bin jedoch Witwe.«
»Nur eine Witwe? Wie war Euer Mädchenname?« Ich sagte die falsche Ahnentafel auf, die ich mit Monsieur Bouchet eingeübt hatte. Meine Erfahrungen bei Hofe hatten mich zur Expertin in Kämpfen um die Rangordnung gemacht.
»Ich bin von Geburt eine Matignon. Eine erlauchte Familie der noblesse de l'épée.«
»Ich habe jedoch einen Titel. Ebenfalls
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