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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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noblesse de l'épée. Euer Lehnstuhl ist ungemein bequem und kommt mir sehr zupaß.«
    »Meine liebe Marquise, es ist ein Vergnügen, sich wieder einmal mit einer Dame von Rang zu unterhalten. Menschen von adeliger Abstammung vermögen ihren Gedanken soviel feiner Ausdruck zu verleihen.« Sie neigte den Kopf und verdrehte die Augen, eine Karikatur ihrer einstigen Koketterie. Ihr silbriges »Gesellschaftslachen«, nun blechern geworden, rasselte durch die Kammer.
    »Ich glaube, Ihr wünschtet mich darüber zu konsultieren, was das Schicksal bereithält –«
    »Oh. O ja, richtig.« Sie blickte verwirrt. »Ihr lest die Zukunft in den Karten, nicht wahr?«
    »Nein, Madame Pasquier. Gott hat mir die Gabe geschenkt, Bilder im Wasser zu sehen.«
    »Suzette, verlasse uns jetzt«, befahl Mutter und lächelte nervös in freudiger Erwartung. Sie blickte verschwörerisch drein und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    Um so besser. Suzette könnte meine Stimme erkennen, wenn sie noch länger bliebe.
    »Ich war nicht immer so, wie Ihr mich jetzt seht«, sagte Mutter, »dieses alte Négligé, diese ärmlichen Verhältnisse.« Sie strich sich mit der Hand über ihre verwüstete Wange. »Seht Ihr, wie weiß meine Haut ist? Ich war eine Schönheit. Ich hätte eine Herzogin sein können. Eine Zigeunerin las es mir aus den Karten. Doch bevor das Glück mir hold war, arrangierten meine Eltern eine Geldheirat mit einem Niemand. Dieses schreckliche Haus –« sie wies verächtlich in die Runde, » – ich habe ihm Licht, Kultur, Stil verliehen. Man tut, was man kann, selbst mit einem Niemand. Sagt mir, ist das Euer Glas, daß Ihr auf den Toilettentisch stellt?«
    »Ja, ich habe einiges vorzubereiten. Könnt Ihr sie hier sehen?«
    »O ja, ich sehe sehr gut. Licht und Schatten. Ich sehe Euch als dunkle Silhouette. Ein Lichtschein kommt von Eurem Glase. Aber ich kann keine kleinen Gegenstände mehr erkennen. Briefe zum Beispiel. Wißt Ihr, was mein Sohn getan hat? Er hat mich hier mit einem Haufen Bücher eingesperrt, Gebetbücher. ›Du kleiner Bastard‹, habe ich ihn angeschrien, ›du weißt, daß ich kein Wort lesen kann.‹ ›Dann betet für die Erbauung Eurer Seele, Madame‹, sagte er. Aber ich habe es ihm heimgezahlt, o ja. Es gelte die Ehre der Pasquiers zu verteidigen, einer großen Familie von Rechtsgelehrten, sagte er. ›Und was macht dich glauben, du bist von meinem idiotischen Gatten gezeugt?‹ sagte ich. ›Du stammst aus besserem Geblüt. Handle nach dem, was du bist – gürte ein Schwert und suche Gunst bei Hofe zu gewinnen.‹ Ah, er war erschüttert. Aber jetzt ist er schlimmer denn je. Er will mir nicht einmal seine Braut vorstellen. Aber ich, ich weiß, was er sagt.« Mutter setzte eine durchtriebene Miene auf. Sie wandte den Kopf zur Türe, wie um zu horchen.
    »Er sagt, ich bin verrückt«, flüsterte sie. »Verrückt. Seine eigene Mutter. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Undankbares Ungeheuer. Ich hätte ihn in der Wiege erwürgen sollen.«
    »Viele Dinge werden hernach bereut, Madame.«
    »Eure Stimme kommt mir bekannt vor. Marie-Angélique, hast du mir Geld mitgebracht? Ich bin leider ganz ohne Geld. Nachdem ich dir so gute Verbindungen verschafft habe, solltest du an mich denken –«
    »Euer Schicksal, Madame. Ich bin gekommen, Euch aus dem Wasser zu lesen.«
    »O ja. Der Chevalier de la Rivière wird mich holen. Wie lange muß ich noch warten? Er hat geschworen, er werde mich heiraten, sobald ich Witwe sei. Sagt mir, höre ich ihn dort auf der Straße? Ist es seine Kutsche? Ich muß meinen Teint auffrischen, ich möchte so hübsch sein, wie ich kann. Er kommt mit einer sechsspännigen Kutsche. Ich sitze jeden Tag am Fenster und halte nach ihm Ausschau. Wüßte ich nur den Tag! Sagt mir – Ihr Wahrsagerinnen habt immer eine Kleinigkeit bei Euch –, habt Ihr mir etwas mitgebracht? Etwas, das meine Schönheit hervorhebt? Er sagt immer, er liebe mich in gelber Seide. Aber jetzt brauche ich etwas, etwas –«
    Es war soweit. Ich könnte ihr die kleine Phiole geben. Trinkt es für einen jugendlichen Teint. Eure Augen werden funkeln. Mein Vater lag im Grabe, weil sie ihren Liebhaber hatte ehelichen wollen. Es ist ihr gerechter Lohn, Geneviève. Gib ihr die Phiole. Die leeren Augen forschten in meinem Gesicht. Ihre Lippen zitterten erwartungsvoll.
    »Ich sage nur wahr, Madame. Wenn Ihr Schönheitsmittel wollt, müßt Ihr Euch an jemand anderen wenden. Auf dem Pont Notre-Dame gibt es einen exzellenten

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