Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
Komödiantin. Er trug einen seidenen Schlafrock und eine pelzbesetzte Kappe aus Brokat. Offensichtlich schert er sich neuerdings den Kopf wie ein Aristokrat und bedient sich eines sehr exklusiven Perückenmachers.«
    »Seine Perücke kümmert mich nicht. Sprich weiter.« Mustafa war verlegen.
    »Madame, offenbar hat er die Handschrift erkannt. Er hat den Brief ungelesen zerrissen.« Er schüttelte seinen Umhang vor dem Feuer aus. »Und – das ist nicht alles. Als La Bertrand fragte, was für ein Brief das sei, zog er die Schultern hoch und sagte, es sei nur wieder so ein billet doux von einer der vielen Frauen, die in ihn vernarrt seien.«
    »Mustafa, dich hat doch niemand bezahlt, um mir das zu erzählen, oder?«
    »Ehrenwort, Madame. Ich habe Euch alles getreulich wiedergegeben.«
    Ich atmete tief ein und stieß die Luft langsam aus. »Dann gibt es offensichtlich nichts mehr, was ich für ihn tun kann.«
    »Offensichtlich. Aber was stand in dem Brief, Madame?«
    »Eine Warnung, Mustafa.«
    »Ich persönlich würde eine Warnung der berühmtem Seherin Madame de Morville nicht in den Wind schlagen«, bemerkte Mustafa. »Unter anderem deswegen, weil Ihr Euch niemals irrt.«
    »Ich wünschte, dieses Mal würde ich mich irren«, sagte ich. Doch noch während ich die Worte aussprach, dachte ich, er dauert mich nicht im geringsten. Was immer geschieht, Ihr habt es verdient, d'Urbec. Spottet der Welt, wenn es Euch gefällt, aber spottet nicht meiner, niemals. Unversehens war mir kalt. Ich stellte mich ans Feuer und hielt die Hände vor die züngelnden Flammen.
    »Doch bei meinen Erkundigungen in der Stadt bin ich auf andere Skandale gestoßen, die Euch erheitern dürften, Madame.«
    »Oh, erzähle. Ich bedarf der Aufheiterung.«
    »Am Theater sprachen alle von diesem neuen Gedicht – ein Angriff auf Monsieur Racine, angeblich von Nevers persönlich verfaßt, zumindest aber von einem seiner Anhänger.« Er zog ein sorgfältig zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Tasche und las:

»Dans un fauteuil doré, Phèdre tremblante et blême
    Dit des vers où d'abord personne n'entend rien –

    Ziemlich boshaft, findet Ihr nicht? Zumal wenn man bedenkt, daß bei den Buhrufen der bezahlten Claqueure niemand die Verse verstehen konnte«, warf er ein.
    »Lies weiter – oder gib es mir«, sagte ich.

Une grosse Aride au cuir noir, aux crins blonds,
    N'est là que pour montrer deux énormes tétons
    Que malgré sa froideur Hippolyte idolâtre.
    Il meurt enfin, traîné par des coursiers ingrats,
    Et Phèdre, après avoir pris de la mort aux rats,
    Vient en se confessant mourir sur le théâtre.«

    Mustafa schloß mit einer grandiosen Geste, indem er das Blatt Papier schwenkte und seine Hand aufs Herz legte.
    »Oh, das ist wunderbar frech, nicht wahr? Die Naive ist nur da, um ihre großen Brüste zu zeigen, und Phaedra nimmt Rattengift – alles höchst vulgär. Racine wird darauf antworten müssen. Du mußt mich über diesen Skandal auf dem laufenden halten.«
    »Mit Vergnügen.« Mustafa verbeugte sich, und halbwegs aufgeheitert sah ich einem weiteren Tag geistlosen Geschwätzes in den Salons und Boudoirs der illustren Häuser im Marais entgegen.

    Im Palais de Soissons wurde bassette gespielt, und alle befanden sich im Geldrausch. Am Haupttisch saß die Comtesse in ihrem großen Lehnstuhl, ein Dutzend ihrer Hündchen scharte sich um ihre Füße. Madame de Vertamon hob die Karten ab, während Marquis de Gordes die Anwesenden durch sein Lorgnon beäugte. An den anderen Tischen sah man die Spieler jubeln, wenn das Glück ihnen hold war, oder ihre Perücken raufen und mit den Fäusten auf den Tisch schlagen, wenn eine gewendete Karte Tausende von Pistoles dahinschwinden ließ.
    »Mein Freund, das Geld ist mir ausgegangen. Habt Ihr fünfhundert Pistoles?« Madame de Rambures wandte sich an den hinter ihr stehenden Herrn, dem es oblag, ihr die Summe zur Verfügung zu stellen. Die Ritterlichkeit erforderte es, daß nur wenige Herren mit ihrem Gewinn von dannen zogen; man mußte das Spiel der Damen unterstützen. Und die Damen verloren. Es gebrach ihnen an Strategie, und sie ließen sich von den Gefühlsaufwallungen des Augenblicks fortreißen.
    Durch den Raum schlendernd, schnappte ich Klatsch auf: die neuen Moden, Nachrichten von der Front; Heeresbefehlshaber wurden ebenso kritisiert wie elegante Damen, bekannte Wundärzte und Richter. Durch das Geplapper hörte ich eine lachende Frau: »Oh, mein Lieber, Ihr habt es nicht

Weitere Kostenlose Bücher