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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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vernommen? Racine hat sich zu den Jansenisten geflüchtet. Ich fürchte, wir haben ihn verloren. Es war Nevers, er hat ihm erklärt, sein Leben sei nichts wert, wenn er bliebe.« Ich trat näher. Das letzte Kapitel. Ich wollte erfahren, wie es geendet hatte.
    »Dann waren es die Sonette?« erkundigte sich die Stimme eines Herrn.
    »O ja, ein veritabler Streit der Sonette. Aber Racines Erwiderung enthielt mehr als nur eine Andeutung, daß Nevers sich in Inzest ergehe – keine kluge Wortwahl, will mir scheinen. Und so zahlte Nevers es ihm mit gleicher Münze heim. Hübsch gereimt, ungefähr so:

›On vous verra punir, satiriques ingrates
    Non pas en trahison d'un bol de mort aux rats
    Mais de coups de bâton donnés sur le théâtre.‹

    Darauf ist Racine freilich sogleich verschwunden.«
    »Nevers ist vollkommen im Recht. Ich sage, das bringt garantiert tausend Peitschenhiebe –« Ich ging weiter, aus Furcht, beim Lauschen ertappt zu werden.
    »Nun, Primi, Ihr spielt nicht?« Visconti war an meine Seite getreten, ganz der gelangweilte Beobachter.
    »Ich habe vorgestern eine einzige Pistole gesetzt, Madame de Morville, und binnen eines Abends tausend gewonnen. Darauf sagten die Damen alle, ›Visconti, der Magier, wird für uns gewinnen‹, und ich mußte für sie spielen. Heute hat mich das Glück verlassen, und ich habe aufgehört, bevor ich mich in Schulden stürze, die ich nicht zurückzahlen kann.«
    »Ungemein vernünftig.«
    »Ah, aber es schadet meiner Reputation. Wie kann ein Prophet beim Kartenspiel versagen? Vielleicht ist es klüger, niemals zu spielen, so wie Ihr.«
    »Primi, wer ist der dunkle Herr, der am Tisch dort drüben die Bank hält? Ich glaube nicht, daß ich ihn hier schon einmal gesehen habe.«
    »Ach der? Das ist Monsieur d'Urbec. Kein sehr vornehm klingender Name, aber er soll an ausländischen Banken beteiligt sein. Man munkelt von einem ausländischen Titel, aber ich als Besitzer eines solchen kann Euch versichern, daß er wenig zählt. Nein, das Geld ist es, weswegen er hier willkommen ist. Er ist sehr großzügig zu den Damen, er weiß einem Herrn aus einer Verlegenheit zu helfen, und er hat teuflisches Glück bei den Karten.«
    »Oh, er betrügt?«
    »Nein, er ist wie Dangeau. Er spielt mit Strategie, ohne Gefühl, und damit ist er der Günstling des Schicksals geworden. Er kommt von nirgendwo und wird überall eingeladen. Er soll in Verhandlungen um den Erwerb eines Amtes stehen – Steuereintreiber in der Provinz, glaube ich. Ein Parvenue, aber nicht ohne Verstand. Ah, da ist Monsieur Villeroy – seht, wie er sich verstellt; er meint vor der Welt zu verbergen, daß er der Liebhaber der Comtesse ist, aber es steht ihm deutlich im Gesicht geschrieben. Die Wissenschaft der Physiognomie, sie ist unfehlbar.«
    »Was lest Ihr in Monsieur d'Urbecs Gesicht, Primi?«
    Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Der ist nichts für Euch, kleine Füchsin, es sei denn, Ihr möchtet ein Leben in der Verbannung führen und zwischen den Höfen ausländischer Fürsten pendeln. Ich schätze, Ihr seid zu sehr Pariserin, um daran Geschmack zu finden. Er hat das Gesicht eines geborenen Abenteurers. Bitter, intelligent. Er kennt zu viele Geheimnisse. In einer Welt von Narren und Dilettanten ersinnt er Pläne wie ein Schachmeister. Er wird Könige beraten, aber sie werden ihn nicht lieben.«
    »Bravo, Primi. Und die anderen, gegen die er spielt?«
    »Brissac, ein delikates Ungeheuer, ein Meister der Wollust. Und der Botschafter Giustiniani – oh, seht –«
    An dem Tisch spielte sich ein Drama ab. Giustiniani hatte seine Karten verdeckt auf den Tisch gelegt. Brissac warf den Kopf zurück und lachte irre. D'Urbec stand plötzlich auf, die Hände flach auf dem Tisch, mit bleichem Gesicht.
    »Kommt, den Tumult wollen wir nicht versäumen.« Visconti nahm meinen Arm.
    »Hunderttausend Pistoles. Ich will sie sofort, Monsieur d'Urbec.«
    »Ihr erwartet gewiß nicht, daß Monsieur d'Urbec morgen die Stadt verläßt«, mischte sich Giustiniani ein. »Unter Ehrenmännern –«
    »Ehrenmänner? Und wer sagt, daß Monsieur d'Urbec ein Ehrenmann ist?« Brissacs Stimme war kalt und höhnisch.
    »Oh, Monsieur d'Urbec, ich würde Euch Eure Gefälligkeit von gestern abend zurückzahlen, wenn ich nur heute abend nicht so viel verloren hätte. Mein Gemahl wird mir zürnen«, erklärte Madame de Bonelle seufzend.
    »Ein Ehrenmann?« stieß d'Urbec zwischen den Zähnen hervor. »Ehrenmänner betrügen nicht beim

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