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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Sonne zu nahe kam«, erwiderte ich.
    »Und Persephone, von dem Genuß von sechs Granatapfelkernen in Versuchung geführt, war zur Unterwelt verdammt.«
    »Ja, aber sie war die Königin des Hades. Manche glauben, daß gesellschaftlicher Rang immer etwas gilt, selbst in der Unterwelt.« D'Urbec schwieg, bis die Kutsche in die Straße einbog, in der er wohnte. Als ich ihm gute Nacht wünschte, konnte ich nicht umhin hinzuzufügen: »Erwartet Euch Euer blondes Flittchen? Oder vielleicht mietet Ihr sie nur zeitweise wie Eure Kalesche?« Ich fühlte seine Wut in der dunklen Enge der Kutsche.
    »Geneviève Pasquier«, zischte er, »habt Ihr jemals geglaubt, daß man Liebe nicht kaufen kann?«
    »O ja, Monsieur d'Urbec. Liebe hat viele Beweggründe. Rache zum Beispiel.«
    »Und Grausamkeit, Mademoiselle. Jene unschuldige Grausamkeit, die Katzen bewegt, Mäuse zu zerreißen wie Spielzeug, und Kinder, Insekten die Beine auszureißen. Das Bedürfnis eines klugen Ungeheuers, zu sehen, wie die Dinge funktionieren.«
    »Ihr müßt es wissen. Immerhin seid Ihr der Experte. Ich hatte nicht den Vorzug, die carte de tendre zu studieren.« Ich hörte ihn den Atem anhalten und dachte, er würde mich womöglich schlagen. Doch es folgte nur ein langes Schweigen. Ich wußte, er verstand, was ich nicht aussprechen konnte.
    »Und so habt Ihr versucht, mich zu kaufen, nicht wahr, kleine Athena?« sagte er leise. »Werdet Ihr je verstehen, daß es außer Geld und Rache für einen Mann noch andere Gründe geben kann, sich für Euch zu interessieren?«
    »Gott hat mich nicht hübsch geschaffen, Florent. Ich bin vernünftig genug, mich nicht zu täuschen.«
    »Ja, Ihr seid stets vernünftig. Vielleicht werdet Ihr eines Tages lernen, Liebe als Geschenk anzunehmen. Bis dahin, lebt wohl, kleine Wahrsagerin.«
    »Florent, wartet –« Aber er war schon ausgestiegen.
    »Keine Sorge, Madame de Morville. Ich lasse Euch morgen eine Nachricht zukommen, wenn ich die Schuld beglichen habe. Ich bin Euch zu Dank verpflichtet.«

    Am Nachmittag des folgenden Tages brachte ein Botenjunge einen Brief von d'Urbec. Die Vorkehrungen zur Überbringung des Geldes seien getroffen, und er verlasse Paris in Geschäften, welche mehrere Monate in Anspruch nehmen könnten.
    »Mich dünkt, ich habe mich nach Eurem Eingreifen in der überaus heiklen Situation gestern abend undankbar gezeigt. Mit Eurer Erlaubnis werde ich Euch nach meiner Rückkehr aufsuchen, um Euch meinen Dank auf ehrenvollere Weise zu entbieten.« Ich las den Brief mehrere Male.
    An diesem Abend schrieb ich in mein Notizbuch:

    10. Januar 1677. Könnte d'Urbec sich einst etwas aus mir gemacht haben? Es muß so sein. Und nun ich ihn gefunden habe, habe ich ihn verloren. Er wird niemals zurückkommen. Und nicht nur das – mit seinem Fortgang hat er Brissac wieder reich gemacht. Brissac hat es nun nicht mehr nötig, sich mit mir zu verbünden, und er ist voller Haß. In meinem Leben habe ich immer nur Liebe gegen Gefahr getauscht.

    Ich muß meinen Weg allein gehen, dachte ich und wollte mich forsch und stark fühlen, statt dessen fielen salzige Tropfen auf das Blatt und verschmierten die Tinte. Was hätte ich überhaupt von Florent d'Urbec gewollt? Die Logik sagte, es hätte nur schlimm enden können. Die Logik sagte, er könnte mich nicht lange gern haben, wenn er mich erst sähe, wie ich wirklich bin. Die Logik sagte – ach, verflucht sei sie, die Logik.

KAPITEL 27
    O Sylvie, sieh für mich hinaus – ich hatte einen entsetzlichen Traum.« Ich setzte mich im Bett auf. Sylvie hatte mir meine Morgenschokolade und frisches Brot gebracht. Sie zog die Vorhänge auf und sah in den Frühlingsmorgen hinaus. »Was siehst du auf der Straße?« fragte ich ängstlich.
    »Einen großen Zugkarren, Madame, die Frau, die mir eben die Milch für Eure Schokolade verkaufte – sie schöpft jetzt Milch für die Frau gegenüber aus ihrer Kanne. Zwei Katzen, ein gelber Hund und ein Schwein sind draußen.«
    »Sonst niemand? Bestimmt nicht?«
    »O doch, Madame – ein Junge verkauft Küchlein auf einem Tablett. Soll ich welche holen?«
    »Geh nicht fort – schau wieder hin – du siehst keinen Mann ohne Gesicht?«
    »Natürlich nicht. Wir wohnen in einer anständigen Gegend. Was ist Euch, um alles in der Welt?«
    »Mir träumte, er sei draußen und warte auf mich; er hat zum Haus hinaufgesehen. Es war ganz echt – und als du hereinkamst, bin ich aufgewacht.«
    »Madame, das ist wieder das Opium. Wieviel habt Ihr gestern

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